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Niemals Gewalt

Astrid Lindgrens Agenda für den Frieden

Bei meinen Recherchen zu meinem zweiten Buch Weltfrieden ist aus stieß ich auf Astrid Lindgrens Rede, die sie 1978 in der Frankfurter Paulskirche hielt. Anlass war die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, den sie dort entgegennahm. Sie war nicht nur die erste Kinderbuchautorin, die je diesen renomierten Preis erhielt, sie sorgte durch ihre Dankesrede auch fast für einen Eklat. Nach Vorab-Begutachtung ihrer Rede durch die Organisatoren der Preisverleihung wurde ihr nahegelegt, den Preis ohne Dankesrede entgegenzunehmen. Sie aber wollte den Preis nicht, ohne reden zu dürfen, und so durfte sie schließlich doch.

Astrid Lindgren in der Paulskirche 1978
Astrid Lindgren in der Paulskirche 1978

Astrid Lindgren warb in ihrer Rede um gewaltfreie Kindererziehung, was von den konservativen Verlegern und Verlegerinnen eher kritisch aufgenommen wurde, zumal in der damaligen Zeit – zehn Jahre nach den 68ern – wieder Stimmen laut wurden, die mehr Zucht und Ordnung in der Kindererziehung forderten.

Was die Schwedin in Frankfurt in deutscher Sprache vortrug, wäre allemal einen Friedensnobelpreis wert gewesen. Für mich ist diese kurze Rede eine brilliante Agenda für den Frieden, bestechend in ihrer Einfachheit und Konsequenz. Was sie charmant, bedacht und gefühlvoll von sich gab, war eigentlich eine Binsenweisheit: Was Menschen in frühester Kindeit verinnerlichen, das bewahren sie (meist) ein Leben lang. Sind es Prügel, willenbrechende Zucht und pure Bevormundung, so werden sie Gewalt als Problemlöser verstehen und anwenden und Unterdrückung als legitimes Mittel zur Machterhaltung ansehen.

Es gibt so viele Binsenweisheiten, die wir Menschen kennen aber konsequent ignorieren. Insofern war Astrid Lindgrens Rede wichtig und geradezu sensationell. Auch im Jahre 1978 galt noch immer der Paragraph 1631 Abs. 2 BGB in folgender Form:

„Kraft Erziehungsrechts darf der Vater angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden.“

Lediglich die Mutter war 1958 im Zuge der Gleichberechtigung mit ins Boot geholt worden. Erst gut hundert Jahre nach Einführung wurde der Paragraph 1631 endich umformuliert zu einem Verbot von Gewalt in der Kindererziehung (im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung):

„Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

Ist damit der Frieden erreicht, der Weltfrieden sogar? In ihrer Rede stellte die Rednerin diese Frage selbst und gab eine Antwort, die sicher nicht Jeden befriedigen wird:

„Ja, aber wenn wir unsere Kinder nun ohne Gewalt und ohne irgendwelche straffen Zügel erziehen, entsteht dadurch schon ein neues Menschengeschlecht, das in ewigem Frieden lebt? Etwas so Einfältiges kann sich wohl nur ein Kinderbuchautor erhoffen! Ich weiß, dass es eine Utopie ist. Und ganz gewiss gibt es in unserer armen, kranken Welt noch sehr viel anderes, das gleichfalls geändert werden muss, soll es Frieden geben. Aber in dieser unserer Gegenwart gibt es – selbst ohne Krieg – so unfassbar viel Grausamkeit, Gewalt und Unterdrückung auf Erden, und das bleibt den Kindern keineswegs verborgen. Sie sehen und hören und lesen es täglich, und schließlich glauben sie gar, Gewalt sei ein natürlicher Zustand. Müssen wir ihnen dann nicht wenigstens daheim durch unser Beispiel zeigen, dass es eine andere Art zu leben gibt?

Hierin liegt die oft übersehene Chance, die jeder und jede von uns hat, die Menschheit zu einer friedlichen zu machen. Unzählige winzige, aber notwendige Schritte zum Frieden liegen in der Macht der „kleinen Leute“, derer, die mit Kindern zu tun haben. Erziehen heißt vorleben, und Erziehung zu Gewaltfreiheit heißt Gewaltfreiheit vorleben. Mehr sagte Astrid Lindgren nicht in ihrer Rede von 1978. Eigentlich eine Binsenweisheit. „Überall lernt man nur von dem, den man liebt“, zitiert sie Goethe und betont, dass dies sogar die Mächtigen dieser Welt betrifft:

Die jetzt Kinder sind, werden ja einst die Geschäfte unserer Welt übernehmen, sofern dann noch etwas von ihr übrig ist. Sie sind es, die über Krieg und Frieden bestimmen werden und darüber, in was für einer Gesellschaft sie leben wollen. In einer, wo die Gewalt nur ständig weiterwächst, oder in einer, wo die Menschen in Frieden und Eintracht miteinander leben.
[...]
Sollte das Kind aber wider Erwarten eines Tages doch zu diesen Mächtigen gehören, dann ist es für uns alle ein Glück, wenn seine Grundhaltung durch Liebe geprägt worden ist und nicht durch Gewalt. Auch künftige Staatsmänner und Politiker werden zu Charakteren geformt, noch bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht haben – das ist erschreckend, aber es ist wahr.

Was, so frage ich mich da, haben die kleinen Trumps und Putins dieser Welt wohl in ihrer Kindheit alles erlebt?

 

Astrid Lindgren auf der Website des Friedenspreises des deutschen Buchhandels;
dort findet sich auch ihre gesamte Dankesrede
https://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/alle-preistraeger-seit-1950/1970-1979/astrid-lindgren
Ein Teil der Rede als Video https://www.youtube.com/watch?v=FqnFPrQ3uyI&t=1m54s
Erziehung ohne Gewalt
Wie Astrid Lindgren mit einer Rede einen Kulturwandel einleitete, der Deutschland verändern sollte
https://www.news4teachers.de/2018/10/erziehung-ohne-gewalt-wie-astrid-lindgren-mit-einer-rede-einen-kulturwandel-einleitete-der-deutschland-veraendern-sollte/
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