Wem gehört die Straße? |
... über Konsequenz im Handeln |
In ihrem Wahlprogramm von 1998 behaupteten die Grünen, 5 DM für einen einzigen Liter Benzin seien angemessen und ein ökologisch wichtiges Ziel. Nachdem sie daraufhin öffentlich verlacht und verprügelt worden waren, habe ich diese Forderung nie wieder von ihnen gehört. Heute nun las ich einen Artikel, der das Zeug hätte, eine ähnliche Empörung und Massenschelte hervorzurufen. Diesmal ist es der VCD, der Verkehrsclub Deutschland, der Dinge sagt wie „Parkplätze müssen weg“ oder „Erhöhte Parkgebühren wirken besser, wenn die Bußgelder für Falschparker hoch sind [...]“. (s. fairkehr 5/2018)
„Die Flächenverteilung in Städten zugunsten des Autoverkehrs ist ungerecht“, behauptet der VCD in seiner aktuellen Mitgliederzeitschrift mit dem Titelthema „Flächen gerecht verteilen“. Und auch die Zahl Fünf taucht wieder auf, wenn sich der Autor eine Parkgebühr von über 5 EUR für Kurzzeitparken wünscht, wie es in London üblich ist.
Ich bin – wie auch 1998 schon – begeistert. Das ist der einzig richtige Weg, denke ich, dem Verkehrschaos beizukommen, das gerade in 2018 immer deutlicher spürbar geworden ist. Das ist der richtige Ansatz, unsere Städte wieder lebenswert zu machen und den Menschen zu widmen – nicht zuletzt den Kinden, den wohl schwächsten Gliedern im Verkehrsgefüge. Doch spontan fällt mir kaum jemand in meinem Bekanntenkreis ein, von dem ich dafür volle Zustimmung erwarten würde.
In Einem aber sind sich alle einig: Der Verkehr nervt. Noch nie war ich in einem Jahr bei so vielen Gesprächen über Verkehrsstaus anwesend wie 2018. Klar, dass es stets Autofahrende waren, die diese Gespräche führten – also die Verursacher. Ja, es stimmt: Die Wartezeiten im Stau, gerade in den Innenstädten, scheinen in diesem Jahr besonders stark gestiegen zu sein – so ist zumindest auch mein subjektiver Eindruck. Überall scheinen die Autos mehr zu stehen als zu fahren. Niemand will das, und die Aufregung über diese Umstände ist groß. Dass allerdings jeder selbst Mitglied des Staus ist und damit eben auch sein Verursacher, das wird nur selten ausgesprochen.
Die Staus sind das eine Thema – im VCD-Artikel wie auch in den Gesprächen. Das andere sind fehlende Parkplätze. Nicht nur Herbert Grönemeyer findet keinen Parkplatz. Wer kennt nicht das gefühlt stundenlange Herumgurken durch die Innenstädte auf der Suche nach einem Stellplatz für sein Fahrzeug. Und wenn man dann doch einen gefunden hat (hoffentlich ohne einen Behindertenparkplatz zu blockieren oder einen Rad- oder Fußweg; obwohl, das ist unwahrscheinlich), dann kostet der ein Vermögen – lt. VCD sind das beispielsweise 2,50 € für Kurzzeitparken in München. Diesen Betrag, den ich gemeinsam mit dem VCD als zu gering ansehe, bezeichnen andere als unmenschich oder sozial unverträglich.
Unmenschlich? Sozial unverträglich? Als sozial unverträglich empfinde ich, dass gerade weniger wohlhabende Menschen, die oft genug gar kein Auto besitzen (können), oft in billigen Wohnungen an verkehrsreichen, lauten Straßen leben (müssen). Unmenschlich ist, dass wir lt. VCD einem Auto mit ca 12 m² mehr Raum zur Verfügung stellen, als so manches Kinderzimmer aufweist – und das zu einem steuerlich subventionierten Spottpreis. Sozial unverträglich ist die Rücksichtslosigkeit, mit der Autofahrende Radwege zuparken (schon klar: nur für zwei Minuten), halb auf Bürgersteigen parken oder auf Parkplätzen, die für Schwerbehinderte reserviert sind. Sozial unverträglich ist es schon, sich überhaupt mit dem Auto in die Stadt zu bewegen, obwohl es öffentliche Alternativen gibt – die, ja ich weiß, öfter, pünktlicher und billiger fahren sollten, deren Nutzung aber dennoch keinesfalls unmenschlich ist! – Obwohl: Vor Jahren schon beschwerte sich ein guter Freund, dass in großen Städten der ÖPNV zunehmend unter die Erde verbannt wird, dass ausgerechnet die umweltschonenden Verkehrsteilnehmer in dunkle, miefige U-Bahn-Schächte hinabsteigen müssen, während der stinkende Individualverkehr in der Sonne fahren darf (naja, stehen). Recht hat er! Was ist das für ein ungerechter und unüberlegter Auto(-)matismus?
Der VCD vertritt dasselbe Meinungsbild in dem o.g. Artikel. Er wirbt dafür, Autoflächen zu verringern, und zwar über Gesetze und den Geldbeutel:
5 € pro Liter Benzin würde ich noch ergänzen, auch wenn ich dafür sicherlich Prügel beziehen werde :-)
Alle schimpfen über das Verkehrschaos auf unseren Straßen. Aber wer ist bereit, mit eigenem Umdenken oder gar Verzicht für bessere Verhältnisse zu kämpfen? Die auf den ersten Blick kontraproduktiv anmutenden Forderungen des VCD wären in der Lage, nicht nur an Symptomen zu doktern, sondern ein breites Umgestalten der Verkehrssituation zu fördern. Ein ausgebauter ÖPNV lockt ÖPNV-Kunden und lässt automatisch die ÖPNV-Taktung steigen. Großzügige und sichere Fahrradwege ermutigen Menschen, das Auto stehenzulassen und Rad zu fahren. Die Straßen würden ganz automatisch leerer und ganz nebenbei könnte der Kampf gegen Feinstaub gewonnen und vielleicht sogar das eine oder andere Klimaziel erreicht werden. Die derzeitige Trend allerdings ist umgekehrt. Die Deutschen fahren immer mehr und immer schwerere Autos mit immer höherer Leistung unter der Haube und entsprechend unnötig hohen Abgaswerten. Und die Autos werden immer größer. Erst kürzlich wurde in NRW beschlossen, die Vorgaben für die Breite neuer Parkbuchten um 15 cm zu erhöhen. Dies ist ein direktes Zugeständnis an die vielen SUVs und ähnlich übergroße Fahrzeuge, die besonders hierzulande immer beliebter werden. Autos beanspruchen wie selbstverständlich immer mehr Platz auf den Straßen. Bestraft werden dabei all diejenigen, die sich freiwillig bescheiden und umweltfreundlich verhalten: Radfahrer, ÖPNVler und Fußgänger. Auf engstem ihnen zugestandenen Raum leiden sie hautnah unter dem Verkehrschaos, das sie selber nicht verursachen, und werden davon gefährdet. Staatliche Fürsorgepflicht sieht anders aus!
Wir wissen alles. Wir wussten schon 1998, wie nachhaltige, menschenfreundliche Verkehrspolitik aussieht. Aber wir wollen es wohl immer noch nicht wahrhaben, dass die Natur, also unsere Lebenswirklichkeit, uns immer wieder mahnt: „Mensch, beschränke Dich“ (frei nach Harald Lesch; ab Minute 13). Nach der Erkenntnis kommt eigentlich die Konsequenz und mit ihr das Handeln. Eigentlich.
Also: wer ist bereit, seinen Lebensstil zu ändern, damit das Leben in der Stadt erträglicher und sicherer wird? Wer schafft es, Konsequenzen zu ziehen und das zu tun, was vernünftig ist? Wecher kluge Mensch ist überhaupt bereit, bestehende Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen und einmal ernsthaft über die Frage nachzudenken:
Wem gehört die Straße?
AdPoint GmbH am 07.08.2019 um 14:34 Uhr | Hallo, die Verkehrssituation in Großstädten ist wirklich chaotisch. Parkplätze findet man tatsächlich kaum. Aber zum Glück gibt es den öffentlichen Verkehr. Ich stimme dir voll zu, dass dieser ausgebaut werden sollte, um Autos auf den Straßen zu reduzieren. Viele Grüße, Felix von der AdPoint GmbH |
Grundsätzlich mache ich hier keine Produktwerbung. Und auch jetzt geht es mir nicht um die Marke, sondern um das Prinzip: Der Einhandmischer, bei dem die Mittelstellung kaltes Wasser liefert. Ich selbst habe so einen von der Firma hansgrohe, die den CoolStart auf den Markt gebracht hat. Für mich eine der wichtigsten Erfindungen neuerer Zeit.