Kommentar |
Lyoness |
ein Rabattsystem der Superlative |
oder: was vermitteln wir unseren Kindern? |
Ein neuer Stern ist aufgegangen am deutschen Geiz-ist-geil-Himmel. In Österreich schon kräftig aktiv, ist Lyoness in Deutschland eher noch unbekannt. Noch! Ein Heer von Business-Partnern bemüht sich derzeit, das lukrative Rabatt-System auch hierzulande an den sparwütigen Kunden zu bringen. Manch ein Internetforum ist bereits voll mit seitenlangen Diskussionen. Pyramidenspiel, Schneeballsystem, Abzocke, Betrug - es gibt wohl keine Anschuldigung, die Lyoness und seinem Gründer Hubert Freidl noch nicht vorgeworfen wurde.
Wer Lyoness kritisiere, so liest man oft, habe das System nicht verstanden. Das System zu verstehen ist allerdings kein leichtes Unterfangen. An Undurchsichtigkeit sind die Rabatt- und Rückvergütungsmethoden vermutlich nicht mehr zu übertreffen. Sofortrabatte (das versteht man noch), Restrabatte (kann man auch noch verstehen, wenn man will), Positionskonto, binäre Matrix, Anzahlungen, Käufer-Team, Ein- und Auskaufen als Business-Partner, Karrierestufen, ... Ich behaupte, all das ist so kompliziert gestaltet, weil man es nicht verstehen soll. Immerhin: es scheint zu "funktionieren". Dem Lyoness-Rabattkarten-Inhaber kommen die Sofortrabatte der teilnehmenden Händler genau so zuverlässig zugute, wie auch die Restrabatte über sog. Positionen in einer "binären Matrix". Bis hierhin scheint Lyoness nichts anderes zu sein, als ein besonders konfuses unter den Rabattsystemen.
Reich wird man allerdings erst als Business-Partner. Oft wird auf entsprechende Kontoauszüge hingewiesen oder auf Personen, die inzwischen von einem rein passiven Einkommen leben können. Business-Partner sind Menschen, die Geld in das Unternehmen investieren und neue Karteninhaber und/oder Business-Partner anwerben. Die versprochenen Gewinne aber sind nur dann möglich, wenn man ein gutes (kauffreudiges) "Team" unter sich versammelt. Das Team besteht aus den selbst angeworbenen Personen und den von ihnen angeworbenen. Alle Einkäufe dieser Gruppe kommen einem dann zu 0,5%-Sätzen zugute - ebenfalls über jene binäre Matrix. Jedenfalls scheint auch das zu "funktionieren". Ist man also fleißig genug und schart die richtigen Leute unter sich, hat man ausgesorgt, irgendwann mal. Es winkt ein lebenslanges, passives Einkommen, dessen Höhe sich nicht unerheblich nach dem Aufwand beim Klinkenputzen richtet. Lyoness sei kein Schneeballsystem, liest man oft. Was denn dann, frage ich mich.
Schriftliche, sachliche Informationen aus erster Hand über das Lyoness-Geschätsmodell sind kaum zu bekommen. Da so viele Halb- und Unwahrheiten in Umlauf sind, lässt das Unternehmen derzeit nur noch einen einzigen Informationsweg zu: ein 30-minütiges Video, ganz im Stil amerikanischer Fernseh-Missionare gehalten. Vorführen lassen kann man es sich von einem Business-Partner bei einem persönlichen Gespräch. Ich habe das Video gesehen und muss nun alles aus dem Gedächtnis heraus aufschreiben. Wer wundert sich da noch, dass nur Halb- und Unwahrheiten in Umlauf sind?
Somit habe ich es nun aufgegeben, das Geschäftsmodell Lyoness weiter unter die Lupe zu nehmen. Immerhin sei es ja auch ISO- und TÜV-zertifiziert, hört man immer wieder. Das macht natürlich was her. Was das aber genau bedeutet, wer weiß das schon? Ach ja, ein Charity-Programm hängt auch noch mit dran. Ich will das gar nicht kleinreden, aber so etwas ist ja wohl obligatorisch als vertrauensbildende Maßnahme für ansonsten dubios anmutende Geschäfte. Beeindrucken wird mich auch nicht das traurige, afrikanische Kind im Lyoness-Charity-Song The Miracle of Lyoness.
Trotzdem: ich gebe auf. Hubert Freidl ist mir einfach über. Er scheint ein geniales Nicht-Schneeballsystem erfunden zu haben, das seinem Unternehmen auf Dauer einen Prozent aller(!) Umsätze zuspielt (hatte ich vergessen, das zu erwähnen?). Was mir jetzt noch bleibt, sind bestenfalls moralische Kritikpunkte, die wohl eh niemanden interessieren. Zumal ich ja vermutlich nur neidisch bin.
Was habe ich nun also überhaupt dagegen? Nun, genau das:
Angenommenn, Lyoness geht nicht bald wieder ein, sondern wird tatsächlich wie angekündigt zur weltweit größten Käufergemeinschaft mit vielen Millionen (oder Milliarden?) Kunden. Was bedeutet das?
Für alle Lyoness-Kunden werden die Waren effektiv billiger. Das ist ja schließlich ihr Ziel. Für alle Nicht-Lyoness-Kunden werden sie relativ teurer. Woanders einzukaufen wird also zum Luxus, den sich wohl nur die wenigsten werden leisten können oder wollen.
Alle Lyoness-Händler verkaufen ihre Ware zwar billiger, haben aber dennoch mehr Umsatz durch größere Verkaufszahlen und sparen Werbekosten ein. Alle Nicht-Lyoness-Händler haben folglich Umsatz-Einbußen. Auch dies ist ein Luxus, der kaum haltbar ist.
Ein freier Einkauf oder Verkauf von Waren wird kaum noch möglich sein. Über jeder Kaufentscheidung wird die Frage stehen: bekomme ich Punkte für mein Rabattsystem? Andere Kriterien werden noch weiter als bisher schon in den Hintergrund gedrängt: Qualität, Service, fairer Handel, Umweltverträglichkeit, soziales Verhalten der Herstellerfirmen, kurze Warentransportwege, u.v.m.
Rabatte können nur gegeben werden, wenn gleichzeitig mehr Waren verkauft werden. Da der Stückpreis der Waren sinkt, muss folglich bei der Produktion eingespart werden. Noch effektivere Herstellungsverfahren werden gefragt sein. Ich behaupte, dass globale Rabattsysteme jeglicher Art einen neuen Automatisierungs-Schub auslösen werden. Dies wird sich massiv auf den Arbeitsplätzemarkt auswirken. Außerdem glaube ich, dass kleinere Firmen hier das Nachsehen haben werden. Konzerne werden wachsen, während kleine und mittlere Betriebe noch weiter unter Druck geraten. Das sind sicher alles Dinge, die sowieso geschehen werden. Rabattsysteme in großem Stil aber werden den Vorgang enorm beschleunigen.
Ist Lyoness erfolgreich, so werden Datengiganten wie Google oder Facebook wie Chorknaben aussehen. Zum ersten Mal wird die Möglichkeit bestehen, so gut wie jeden einzelnen Einkauf zu dokumentieren. Wenn ich die Entwicklung so mancher Datensammler in der Vergangenheit betrachte, kann ich mir vorstellen, dass dieser Punkt zu Hubert Freidls Hauptzielen gehört. Bin ich so paranoid und der einzige, den das stört?
Lyoness und besonders seine früh genug eingestiegenen Business-Partner werden das große Geld machen (immer vorausgesetzt, das Unternehmen wird erfolgreich). Dieses Geld muss aber irgendwo her kommen! Geld vermehrt sich nicht einfach so, jedenfalls nicht nachhaltig. Es wird irgendwo fehlen. Wer sind also die Verlierer dieses Systems? Für mich sind das:
Diese Gruppen werden die Zeche zahlen. Woran erinnert mich das? Ganz klar an all die Börsenspekulanten, die in den vergangenen Jahren durch legale, aber asoziale Praktiken Millionen verdient und Zigtausende geschädigt haben. „Verdient“ heißt hier: erwirtschaftet mit Nicht-Waren, durch den Aufbau der viel zitierten Finanzblasen, von denen bisher noch jede geplatzt ist. Dieses Platzen ist auch für globale Rabattsysteme ohne viel Fantasie absehbar. Irgendwann werden alle Produkte nur mittels Rabatten verkauft werden können. Die Grenzen der Schnellerproduktion aber werden irgendwann erreicht sein. Die Preise werden also irgendwann deutlich steigen müssen, um die Rabatte auszugleichen. Ich glaube, alles wird sich irgendwann wieder einpendeln auf das heutige Niveau. Nur dann eben mit teureren Waren und flächendeckenden Rabatten, die das wieder ausgleichen - für die, die teilnehmen. In der Zwischenzeit aber wird manche kleine Firma bankrott gehen und manch Arbeiter mehr in die Arbeitslosigkeit. Die Lyoness-Business-Partner aber werden ihre Schäfchen im Trockenen haben - ganz so wie heute schon all ihre Vorgänger: die organisierten Initiatoren der vergangenen Finanzblasen.
Es sei ja niemand gezwungen, an Lyoness teilzunehmen. Jeder könne sich schließlich selbst dafür oder dagegen entscheiden. Dieses letzte aller Argumente wird von Lyoness-Fans gern gebraucht. Jeder kann, wie er will? Ja, noch. Doch ein Rückzug auf diesen Standpunkt ist in diesem speziellen Fall m.E. unlauter. Das von Lyoness selbst gesteckte Ziel, der Welt größtes Rabattsystem zu werden, geht aufgrund seiner Größe nicht mehr nur den Einzelnen etwas an!
Geiz ist geil. Durch Lyoness erhält dieser moderne Leitsatz neuen Auftrieb. Nicht mehr arbeiten müssen. Dies ist die viel zitierte Vision vieler Business-Partner. Ist das wirklich anzustreben? Klar, das ist geil, aber ist das nicht auch äußerst unsozial? Daran kann auch kein Charity-Programm etwas ändern! Fragt sich wirklich niemand, wo das "verdiente" Geld herkommt und wem es fehlt? Wie ich schon schrieb: Geld vermehrt sich nicht einfach, das war immer schon so. Es muss irgendwo fehlen! Ist es egal, wem es fehlt? Bin ich allein so blöd und frage danach?
Warum besteht - dem gegenüber - nur so wenig missionarischer Eifer für soziale und nachhaltige Werte? Vielleicht sollten wir alle einmal überdenken, was wir unseren Kindern durch unser Verhalten – beispielsweise dem Streben nach Rabatten – vermitteln.
Lyoness-Website: | https://www.lyoness-corporate.com/de/ |
Lyoness-Charity-Song: | https://www.youtube.com/watch?v=kkDI9x4WO7k |
-Gast- am 26.06.2012 um 15:19 Uhr | Sicher kann man die Dinge so sehen, aber vieleicht kann es ja auch sein, das das Geld eh im System ist und für alle Mist benutzt wird. Und viele Lyonessmitglieder representiere diesen negativen Touch des Snobs leider auch.So ist die Marktwirtschaft uns doch vermittelt worden, oder. Ich für mich möchte mir meine Berufung damit aufbauen und anderen Menschen helfen, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Impulse für einen neue Zeit geben. Und meinen Kinder kriegen schon als Kleinkind an jeder Ecke Angebote, gegen die ich mich wehement wehre und die ihnen mehr schaden, als wenn ich Rabatte erhalte, die im System eh verteilt werden. So kann sie nur jeder nutzen. Was ist daran verwerflich.Eine Freundin hat mir mal gesagt, als ich immer gegen die Computerspiele und all den neuzeitlichen Kram meiner Kinder wetterte," Nimm die Dinge an, wehre Dich nicht dagegen, dann kannst Du leichter leben!!" So nehme ich eben die neuen Dinge an und bin trotz aller Zweifler bei Lyoness eingestiegen. Und ich vertraue darauf, nur das Gute damit zu bewirken.Und wer Gutes ernten will, muss Gutes tun. Und wenn das Geld dafür über Lyoness verdient werden kann, dann tu ich dies eben und empfehle es allen, die so denken wie ich.Geschadet wird hier niemandem. |
am 29.06.2012 um 12:53 Uhr | Zitat: Ja, ist sie wohl. Aber vielleicht wird es Zeit, sich vom Erlernten zu lösen und unseren Kindern endlich mal etwas anderes zu vermitteln.So ist die Marktwirtschaft uns doch vermittelt worden, oder. Zitat: Was das angeht, hatte ich in meinem Artikel ja versucht, das Gegenteil darzulegen. Zugegeben, ohne jeden Beweis.Geschadet wird hier niemandem. Zitat: Ich glaube auch, dass das Geld sowieso im System ist. Ich sage ja: Geld vermehrt sich nicht einfach! Aber es sollte zu denen gelangen, die etwas ordentliches "geleistet" haben: Entwickler, Hersteller, Händler. Die sollen ihr Geld erhalten, ohne unter globalem Rabattzwang zu stehen (Utopie, ich weiß), und nicht die Erzeuger von Nicht-Waren, von Finanzblasen, wie die Hubert Freidls dieser Welt.vieleicht kann es ja auch sein, das das Geld eh im System ist und für alle Mist benutzt wird. |
-Gast- am 03.01.2014 um 18:33 Uhr | Es wurden offensichtlich doch nicht genug Dumme für das System gefunden. Aber versuchen kann man es ja mal. |
am 03.01.2014 um 21:45 Uhr | Zitat: Keine Ahnung, ist das so?Es wurden offensichtlich doch nicht genug Dumme für das System gefunden. Ich weiß gar nicht, wie es um Lyoness steht. Habe lange nichts mehr davon gehört. |
Thiemo Brand am 09.10.2017 um 23:28 Uhr | Richtig , das Geld ist da. Und wo wird es weggenommen? Es wird der Werbeindustrie weggenommen. Jedes halbwegs erfolgreiche Unternehmen gibt heute zwischen 3% + 5% des Umsatzes für Marketing aus, ohne zu wissen wieviel Erfolg es bringt. Wer zahlt es indirekt? Natürlich der Kunde. Nun kommt ein Unternehmen und sagt: "Eh, ich besorge Dir Kundschaft und erst dann zahlst du in Form eines Rabattes deine Werbekosten." Ich glaube das sich die Werbebudgets neu regulieren werden und vielleicht dann auch der Wahnsinn für überteuerte Marketingmaßnahmen aufhört. |
Grundsätzlich mache ich hier keine Produktwerbung. Und auch jetzt geht es mir nicht um die Marke, sondern um das Prinzip: Der Einhandmischer, bei dem die Mittelstellung kaltes Wasser liefert. Ich selbst habe so einen von der Firma hansgrohe, die den CoolStart auf den Markt gebracht hat. Für mich eine der wichtigsten Erfindungen neuerer Zeit.