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Plastik in Kleidung

Plastik in Kleidung

Heute, endlich mal wieder nach langer Zeit, habe ich in einem Schaufenster ein Kleidungsstück gesehen, das mir wirklich gut gefiel. Das gibt es nicht oft in meinem Leben, denn erstens bin ich kein Mode-Besessener, nicht einmal ein Mode-Aufmerksamer, und zweitens bin ich auch sonst nicht oft eins mit dem Mainstream. Aber heute – ein schönes Kleidungsstück! Ich hätte sofort zugegriffen, selbst der Preis wäre mir fast egal gewesen, doch leider: 100% Polyester :-(

Von Berufs wegen bin ich Techniker eines mobilen Kindertheaters. Das AchJa!-Theater bringt regelmäßig „Motte will Meer!“ auf die Kita- und Grundschulbühne (s.a. meinen Blogartikel darüber). Darin versucht die Fischerstochter Motte herauszufinden, wer schuld ist an dem ganzen Plastik im Meer, das ihrem Papa das Fischer-Leben schwer macht. Bei ihrer Suche lernt sie den verrückten, aber irgendwie liebenswerten Professor Fantastico kennen, der all das Plastik herstellt. Er ist begeistert von seiner Arbeit und zählt dem Theaterpublikum auf, in welchen Gegenständen aus dem Alltag der Kinder Plastik enthalten ist. „Deine Puppe ist aus Plastik“, sagt er, „deine Brille auch und dein Spielzeugauto …“ Und dann behauptet er: „Plastik ist sogar in all euren Unterhosen!“ Der Protest ist groß jedesmal an dieser Stelle, denn kaum eines der Kinder hätte geahnt, dass eine Textilie aus Plastik bestehen kann. Vielleicht wäre Kunststoff auch das bessere Wort, oder im Fachjargon: Kunstfaser.

100 Prozent Polyester – Plastik in Kleidung

Ja, es stimmt: Wer nicht gerade Seidenunterwäsche trägt, wird höchstwahrscheinlich Kunstfaser am Körper tragen. Ebenso, wer nicht in Wollsocken herumläuft. Baumwollunterwäsche und -Socken gibt es zwar, sie sind aber immer schwerer zu finden. Das Kleidungsstück, das mir heute so gut gefallen hat, war eine Art Jacke, der Hersteller nennt es zip-up-jumper, die Verkäuferin – immerhin eine Fachfrau – nannte es Funktionsjacke. Und tatsächlich war „Funktion“ das zentrale Wort ihrer Argumentation, als sie mich über die 100% Polyester informiert und ich meinen Unmut kundgetan hatte. „Etwas anderes als Kunstfasern habe ich gar nicht bei Funktionskleidung“, stellte sie klar. „Aus Baumwolle etwa würde die Kleidung zu schwer werden bei gleicher Funktion. Und die Funktion wollen wir hier ja gerade; hier auf der Insel müssen wir uns vor dem Wind schützen.“ Ach ja, das vergaß ich zu erwähnen: Das Geschäft befand sich auf der schönen Nordseeinsel Baltrum.

Ausgerechnet! Ich betrachte es als eine Art Ironie, dass Plastik in Kleidung ausgerechnet auf einer Insel hoch im Kurs steht, also dort, wo auch Motte vermutlich wohnt und wo ihr Papa als Fischer arbeitet, ausgerechnet dort, wo Plastik im Meer sich als Problem offenbart. „Wir werfen unsere Funktionskleidung ja nicht ins Meer“, hätte mir die Verkäuferin sicher geantwortet, wenn mir diese Ironie bereits im Geschäft klar geworden wäre. Kleidungsstücke, die komplett im Meer schwimmen, sind aber auch nicht das Problem bei Kleidung aus Kunstfasern.

100 Prozent Polyester – Plastik in Kleidung

Wo liegt das Problem dann? Natürlich beim Mikroplastik. Bei jeder Wäsche verliert Kleidung unzählige Fasern, auch die aus Plastik. Filter und Klärwerke fischen diese winzigen Kunststoffteilchen zwar zum Großteil heraus (in Deutschland zu etwa 90 Prozent), doch den Rest eben nicht. So gelangen jährlich bis zu 47 Tonnen Mikroplastik ungehindert ins Meer (Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung). Dort sind sie längst gehäuft nachweisbar. 20-35 Prozenz des Mikroplastiks im Meer stammt von Kleidung aus Kunstfasern. Auch in der Nahrung der Fische ist es vorhanden und damit in den Fischen selbst. Diese wiederum isst der Mensch. Auch im Menschen wurde bereits Mikroplastik nachgewiesen, so etwa im Gehirn und in der Eierstockflüssigkeit. Wie gesundheitsschädlich das ist, konnte noch nicht umfassend ermittelt werden. Doch sollten wir es deshalb einfach so weiterlaufen lassen?

Scheint fast so. Obwohl die Fakten schon lange bekannt sind, werden Kunstfaserprodukte massenhaft verkauft. Aber eben auch gekauft. Oft mit dem Hinweis, dass Baumwolle, die Haupt-Alternative, ökologisch auch nicht unproblematisch ist – was in der Tat stimmt (Stichwort Wasserverbrauch und Pestizide). Doch ist Baumwolle wenigstens biologisch abbaubar und ungefährlich für die Nachwelt (wenn sie gewissenhaft und Pestizit-arm erzeugt wurde wie etwa Bio-Baumwolle). Und wirklich besser sind Polyester & Co auch nicht, was die Gewinnung und Verarbeitung angeht (Energie- und Treibhausgas-intensiv, hochgiftige Chemiklien). Leinen dagegen, insbesonders regional und biologisch sinnvoll erzeugtes Leinen, hat eine deutlich bessere Bilanz als Baumwolle und Kunstfasern. Leinen aber spielt in der Textilindustrie nur eine untergeordnete Rolle.

100 Prozent Polyester – Plastik in Kleidung

Leinen, hergestellt aus der Flachs-Pflanze, wird in seit Jahrtausenden vom Menschen genutzt. Auch in Europa war es lange der Rohstoff für Textilien. Heute hat die Baumwolle dem Leinen längst den Rang abgelaufen, die Kunstfaser tut dies nun ihrerseits mit der Baumwolle. Na ja, so einfach ist es vielleicht nicht, denn je nach Anwendungsgebiet haben sich halt verschiedene Rohstoffe durchgesetzt – für Funktionskleidung ist dies eben die Kunstfaser, da wasserabweisend und schnell-trocknend. Für unsere Alltagskleidung allgemein haben sich Baumwolle und Kunstfasern etabliert, Leinen ist nur ein Nischenprodukt. Und das trotz der großen Vorteile von Leinen. Hier in aller Kürze:

  • heimisch
  • anspruchslos im Anbau
  • wenig Düngemittel
  • wenig Pflanzenschutzmittel
  • deutlich weniger Wasserverbrauch als bei Baumwolle
  • reißfest
  • fusselfrei
  • atmungsaktiv
  • kühlend im Sommer
  • biologisch abbaubar

Nachteile gibt es natürlich auch, die das Nischendasein schnell erklären:

  • knitteranfällig
  • scheuerempfindlich
  • empfindlich gegen trockene Hitze (also nur feucht bügeln und nicht in den Trockner)

Eigentlich sollte sich dieser Artikel gar nicht zu einem Werbeartikel für Leinenstoffe entwickeln. Doch ganz automatisch landet man bei Hanf oder Leinen, wenn man Alternativen zu Plastik und Baumwolle sucht. Es gibt auch weitere, neuartige Rohstoffe, die den positiven Eigenschaften der Kunststoffe aus Rohöl nahekommen, aber als nachhaltig bezeichnet werden. Lyocell etwa (Markennamen Tencel), hat ähnliche Trageeigenschaften wie Kunstfaser, ist aber viel nachhaltiger, auch nachhaltiger als Baumwolle. Für dieses Produkt möchte ich ebenfalls keinen Werbeartikel schreiben, daher an dieser Stelle nur ein Link zu weiteren Infos und hier noch einer.

Die Suche nach Rohstoff-Alternativen ist wichtig. Doch den wichtigsten Hinweis gibt sicher die Verbraucherzentrale Hessen, wenn sie schreibt:

„Sinnvoller ist es, seinen Konsum zu reduzieren, zertifizierte Kleidung zu kaufen und sie länger zu benutzen.“
(Verbraucherzentrale Hessen)

1000 Prozent Polyester – wenn KI übertreibt :-)
 … wenn KI übertreibt :-)

Nun gut. Damit ist klar: Ich werde das schöne Kleidungsstück auf der Insel lassen. Ich habe noch genug, was ich anziehen kann, auch bei Wind und Wetter. Diese Teile sind nicht mehr ganz so schön wie die Neuware im Laden, aber schön genug. Mal sehen, wann ich etwas Passendes aus ökologisch produziertem und zertifiziertem Leinen finde. Das wird dann sicher doppelt so teuer sein, aber ich werde es auch doppelt solange verwenden und dabei hoch schätzen.

 

Motte will Meer!
vom AchJa!-Theater
https://achja-theater.de/theater/motte-will-meer/
Plastik in der Umwelt
eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
https://bmbf-plastik.de/de/node/504.html
Microfibres from apparel and home textiles
ScienceDirect
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S004896971834049X
Wie schädlich ist Mikroplastik für Mensch und Umwelt?
bei Utopia.de
https://utopia.de/ratgeber/neue-erkenntnisse-wie-schaedlich-ist-mikroplastik-fuer-mensch-und-umwelt-v3_792079/
Lyocell – Alles rund um das umweltfreundliche Material der Zukunft https://www.hausvoneden.de/sustainability/lyocell-alle-vor-und-nachteile/
Tencel Stoff – Nachteile und Vorteile der innoativen Trendfaser https://www.hausvoneden.de/sustainability/tencel/
Mikroplastik aus Kunstfasern: Die wichtigsten Antworten https://www.verbraucherzentrale-hessen.de/plastiksparen/mikroplastik-aus-kunstfaser-kleidung-53227
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