Ruanda 2018 |
Zeit zum Staunen über ein kleines Land in Afrika |
ein Gastbeitrag von Sabine Teuchert |
Juli 2018: Wir kochen im Hof vor der kleinen Wohnung von Melissa auf Feuer: Bratkartoffeln und Rührei! Drinnen werden Tomaten und Gurken klein geschnitten für den Salat. Melissa hat sich gewünscht, dass wir ein „deutsches Essen“ kochen. Am liebsten wäre ihr Lasagne. Die ist allerdings nicht wirklich deutsch, und ohne Backofen und Lasagnenudeln auch nicht so leicht herzustellen.
Die Nachbarskinder schauen zu und essen später auch mit, verschiedene Verwandte kommen ebenfalls.
Wir – das sind Thorsten, Bettina und ich. In den Sommerferien reisen wir drei Wochen lang gemeinsam durch Ruanda. Wir besuchen Freunde, die ich bei meinem letzten Aufenthalt 2017 in Ruanda kennen gelernt habe, wir beginnen eine Schulpartnerschaft und erleben die drei Nationalparks. Da Ruanda ein recht kleines Land ist, können wir in der Zeit alle vier Provinzen und die Hauptstadt Kigali erkunden.
Mehrfach essen wir während unseres Aufenthaltes privat in Familien. Das sind immer sehr schöne Erlebnisse, zu denen auch gehört, dass sich alle Gäste ausführlich vorstellen. In der Regel gibt es immer mindestens 5-6 Töpfe mit verschiedenen Speisen: Kartoffeln, die sehr gut in der Vulkanerde wachsen, Reis, Kochbananen, manchmal Nudeln. Als Gemüse Möhren, Erbsen und/oder Bohnen, Kürbis sowie eine Art Grünkohl. In einem kleinen Topf Fleisch, meist vom Rind, manchmal auch Fisch. Unser deutsches Essen mit nur zwei Töpfen – Bratkartoffeln und Rührei – fällt dagegen ungewöhnlich aus, kommt aber gut an! Nach dem Rezept für die Salatsoße fragt Melissa ein paar Tage später, um sie für Freunde selbst zuzubereiten.
Durch die Kontakte zu vielen verschiedenen Menschen können wir gute Einblicke in das Alltagsleben in Ruanda 24 Jahre nach dem Völkermord gewinnen. 1994 wurden innerhalb von 100 Tagen von April bis Juli bis zu 1 Million Menschen ermordet, überwiegend Tutsi durch Hutu; und die Weltgemeinschaft, vertreten durch die UN, sah zu. Von dem, was wir nun im Land sehen, sind wir sehr beeindruckt!
In praktisch jedem Ort, jeder Stadt gibt es Gedenkstätten zum Völkermord, oft in Verbindung mit Grabstätten. In der Öffentlichkeit wie auch in den Schulen ist das Thema sehr präsent und wird professionell aufgegriffen. Das Motto „Ubumuntu“ meint Menschlichkeit - Gerechtigkeit - Frieden. Ziel ist es, dass sich alle Menschen in Ruanda als gleichwertige, gleichberechtigte Ruander verstehen – es wird nicht mehr unterschieden zwischen Hutu und Tutsi, dieser Eintrag im Pass, von den belgischen Kolonialherren in den 1930er Jahren initiiert, wurde abgeschafft. Es gibt heute Gruppen von Genozid-Überlebenden, die sich treffen, miteinander sprechen, zusammen arbeiten, sich unterstützen und auch vom Staat unterstützt werden. Psychologische Hilfen zum Aufarbeiten der Traumata gab und gibt es viel zu wenig – um so wichtiger sind diese Möglichkeiten der Gemeinschaft, aber auch des gemeinsam gelebten Alltags.
In der Bildung, aber auch in anderen Bereichen orientiert sich Ruanda nun stärker an Ostafrika und am Commonwealth – nicht mehr an Belgien bzw. Frankreich. Englisch ist nun die wichtigste Fremdsprache, ab der 7. Klasse (in der secondary school) wird der Unterricht überwiegend auf Englisch durchgeführt, wie auch die Veranstaltungen an den Universitäten. Die jüngere Generation ist überwiegend sehr gut in der Lage, auf Englisch zu kommunizieren, was unsere Verständigung erleichtert. Die Schulen orientieren sich auch in anderer Hinsicht an westlichen Bildungsidealen: Wir drei, alle im Bereich Schule und Bildung tätig, erfahren in Gesprächen mit LehrerInnen, dass die Curricula nun alle auf die auch in Deutschland übliche Kompetenzorientierung umgestellt wurden. So soll der Anschluss an internationale Bildungsstandards erreicht werden – und in dieser Hinsicht scheint Ruanda auf einem guten Weg zu sein. Sogar eine SWOT-Analyse, eine „Stärken-Schwächen-Möglichkeiten-Gefährdungen“-Analyse einer Schule, habe ich dort bekommen – das führen nicht alle Schulen bei uns durch ...
Und noch eine Tatsache überrascht: Ruanda lag im letzten „gender-gap-report“ (2016) auf Platz 5, deutlich vor Deutschland, das auf Platz 13 liegt. Im Parlament in Ruanda sitzen mehr Frauen, als in jedem anderen Parlament weltweit: 64%. Überall im Land wird versucht, Frauen und Männer etwa gleichermaßen auf wichtige Posten zu „verteilen“, wenn nötig mit einer Quote. Vermutlich hängt dies auch mit den Folgen des Völkermords zusammen: Nach dem Juli 1994 lebten nur noch wenige Männer im Land (Schätzungen gehen von nur 30 % aus) – zu viele waren ermordet worden oder waren Mörder, und dementsprechend entweder tot, geflohen oder im Gefängnis. Die Frauen mussten anpacken und das Land wieder aufbauen, was ihnen sichtlich gut gelang!
Unterstützung erhielten die Frauen vielfach durch ihre Kirchengemeinden, in denen sie Hoffnung fanden und sich z.B. durch Singen und Tanzen gegenseitig ermutigten. Auch im Prozess der Versöhnung zwischen Tätern und Opfern spielen viele Kirchengemeinden eine wichtige Rolle, ebenso beim Engagement für Opfer, verarmte Familien, Waisenkinder etc.
In vielen Begegnungen und Kontakten erleben wir, dass die Ruander sehr liebevoll miteinander umgehen, sich sehr genau wahrnehmen, ohne viele Worte unterstützen und helfen. Auch mit ihren Kindern gehen sie sehr unaufgeregt, gewaltfrei und liebevoll um. Es beeindruckt uns sehr, dass das auch im Straßenverkehr funktioniert: Obwohl es nur wenig Schilder und Verkehrsregeln gibt, fahren und gehen alle sehr aufmerksam und langsam – Autos, Motorräder, Fahrräder, Fußgänger. Und auch an großen Kreuzungen funktioniert der Verkehr – langsam und bedacht!
In Ruanda gibt es sehr viele Kleinunternehmen wie z.B. Näherinnen, kleine Shops, Fahrer als Motorrad- oder Fahrradtaxi, Verkauf von SIM-Karten am Straßenrand, Marktstände in jeder Größe (auch unfassbar klein). Trotz zum Teil schlechter Straßen gibt es einen sehr regen Busverkehr im ganzen Land – und wohin die Busse nicht fahren, kann man sehr günstig mit einem Motorradtaxi gelangen. Die vielfach fehlende Infrastruktur wird inzwischen gut ausgeglichen: Es gibt z.B. ein erstes Unternehmen, das mit Hilfe von Drohnen Blutkonserven verschickt. Anstelle großer Computer und Festnetztelefonen verwenden die Menschen günstige Smartphones zum Telefonieren, zur Nutzung des Internets, für Geldgeschäfte. Auch ohne einen eigenen Stromanschluss (über den viele Ruander nicht verfügen), kann das Smartphone an verschiedenen öffentlichen Stellen aufgeladen werden. Und auch Wasser ist ausreichend vorhanden – wenn nicht im eigenen Haus, dann an den diversen Wasserstellen.
Den Naturschutz nehmen die Ruander sehr ernst: Plastiktüten sind im ganzen Land verboten, auch die Einfuhr. An jedem letzten Samstag im Monat findet „UMUGANDA“ statt, der monatliche „Kehrtag“ in Ruanda – alle arbeiten gemeinsam und fegen z.B. die Straßen etc. Der Naturschutz ist auch im Zusammenhang mit dem Tourismus wichtig für das Land: So gibt es drei große Naturschutzgebiete, die begleitet betreten werden dürfen. Im Virunga-Park in den Vulkanbergen kann man für viel Geld die letzten noch lebenden Berggorillas besuchen. Deutlich günstiger kann man verschiedene Wanderungen unternehmen, zum Beispiel zur Forschungsstation und zum Grab von Dian Fossey oder zu den Vulkanen Bisoke und Karisimbi – in einer Gruppe, mit FührerIn und bewaffneten Parkwächtern. Im Nyungwe-Forest kann man begleitet durch primären, urtümlichen Regenwald wandern – oder auf dem Canope-Walk über den bis zu 100m hohen Baumwipfeln über eine Hängebrücke gehen. Hier gibt es viele seltene Vögel und Affen, auch sehr scheue Schimpansen. Die Waldelefanten sind leider ausgestorben, sollen aber wieder angesiedelt werden, um das Ökosystem im Gleichgewicht zu halten – im Moment wachsen dort Büsche im Übermaß, die den Elefanten als Nahrung dienten. Im Akagera-Park im Osten, an der Grenze zu Tansania, gibt es all die Tiere, die Europäer so gerne in Afrika sehen wollen: Elefanten, Giraffen, Zebras, Antilopen, Nilpferde, Nashörner, Löwen, Büffel, Krokodile, Paviane und andere Affen – in großen Gruppen und sehr nah. Auch niedliche Erdmännchen, die uns im Auto aus ihren Löchern heraus anschauen!
Die Staatsführung in Ruanda weiß, wie wichtig der Tourismus als Einnahmequelle für das Land ist. Bodenschätze gibt es so gut wie keine. Die Landwirtschaft reicht zur Ernährung der Bevölkerung, aber, mit Ausnahme von Kaffee und Tee, nicht für den Export. Deshalb sind die Menschen in Ruanda sehr daran interessiert, mehr Touristen ins Land einzuladen und dass diese länger als nur einen Tag bleiben – dieser eine Tag reicht vielen Gästen im Rahmen einer größeren Afrikareise aus, meist im Zusammenhang mit dem Besuch der Berggorillas. Deshalb bemühen sich die Menschen dort sehr um einen guten Service. Überall im Land erleben wir sehr freundliche, hilfsbereite Menschen. Das Land gilt inzwischen auch als sicheres Reiseland, die Kriminalitätsrate ist sehr gering, es gibt relativ viel Polizeipräsenz. Verpflichtende Impfungen gibt es bei der Einreise aus Deutschland nicht mehr, Schutz gegen Gelbfieber und Hepatitis wird allerdings empfohlen. Das Malaria-Risiko ist auf Grund der hohen Lage Ruandas – in der Regel über 1600m – recht gering, auch das Klima ist sehr angenehm, nicht über 30 Grad, in den Vulkanbergen deutlich kühler.
Aus unserer Sicht problematisch ist allerdings die fehlende Demokratie. Oppositionsparteien gibt es zwar, diese haben aber erhebliche Schwierigkeiten, offene und öffentliche Kritik an der Regierung sind nach Berichten u.a. von amnesty international nicht möglich (fehlende Pressefreiheit), die Justiz wird immer wieder kritisiert. Etliche weitere Herausforderungen muss Ruanda in den nächsten Jahren meistern, wie z.B. das Bevölkerungswachstum und in dem Zusammenhang auch die Armut. Es gibt in Ruanda zunehmend zu viele Menschen für zu wenig Land. Durch wachsenden Wohlstand weiter Teile der Bevölkerung soll sich dieses Problem verringern, denn: „Wirtschaftlicher Wohlstand bedeutet das Ende des Bevölkerungswachstums.“ (Stoisser, Der schwarze Tiger Afrika, S. 40). Von einigen Menschen in Ruanda hören wir, dass sie sich gerne am westlichen Ideal der 2-Kind-Familie orientieren wollen. Auf der anderen Seite allerdings kann dieses Wachstum auch als Chance gesehen werden: „Afrika [hat] die derzeit jüngste und dynamischste Bevölkerung aller Kontinente.“ (Stoisser, Der schwarze Tiger Afrika, S. 43). Hoffen wir, dass sich Ruanda als Land stetig weiterentwickelt, so dass die Menschen dort eine gute Perspektive haben!
Was wir dazu beitragen können? Unser veraltetes Bild von Afrika als dem vermeintlich rückständigen Kontinent loslassen und den Menschen auf Augenhöhe begegnen!
Literaturtipps:
Achermann, Barbara: Frauenwunderland. Die Erfolgsgeschichte von Ruanda, Stuttgart 2018
Stoisser, Hans: Der schwarze Tiger: Was wir von Afrika lernen können, München 2015
Ruth am 03.09.2018 um 11:54 Uhr | Danke, für diesen lebendigen Reisebericht! Freunde von mir waren vor dem großen Völkermord in Ruanda, um dort im Gesundheitsbereich zu arbeiten. Sie berichteten damals wesentlich deprimierter. Es gefällt mir sehr gut, dass ihr die ermutigende Entwicklung des Landes schildert und auch mit euren tollen Fotos entsprechend ausstattet. Eure Gesichter und die eurer Gastgeber sprechen Bände: wunderschön! |
altesCoon am 08.09.2018 um 14:19 Uhr | Danke, Ruth, für die nette Rückmeldung :-) |
am 11.09.2018 um 10:02 Uhr | Vielen Dank für diesen persönlichen, anschaulichen Reisebericht und die Fotos, die Lust auf Ruanda wecken! Danke für alle Kontaktarbeit! Ich hoffe, dass diese Reise (und andere Begegnungen) die Partnerschaft wachsen lassen! Ich glaube, dass es sich lohnt und dass beide Seiten viel von einander lernen können. |
Anke S. am 11.09.2018 um 19:47 Uhr | Liebe Sabine, die Bilder haben deine lebendigen Erzählungen von gestern Abend nochmal viel konkreter gemacht! Mein Favorit ist "Kinder in Musanze" - ein tolles Foto! Das macht alles Lust auf eine Afrikareise. Toll, wie sich das Land nach dem Völkermord entwickelt hat, auch wenn ich eure politischen Bedenken teile. Aber wo gibt es schon einen landesweiten Tag zum Aufräumen! Und so eine starke Beteiligung von Frauen. Danke für den Bericht! |
Dietrich Weinbrenner am 21.09.2018 um 13:29 Uhr | Danke für diesen sehr informativen und anschaulichen Bericht! Und für diese tollen Fotos! Ja, die persönlichen Begegnungen und Erfahrungen sind eben durch nichts zu ersetzen - und davon kommt viel "rüber"! |
ONMA am 04.10.2018 um 04:51 Uhr | Guten Tag! Es ist schön, dass sie viele neue Orte und Produktionen haben und auch Lebensmittel, verschiedene Arten von Lebensmitteln, und die Menschen dort sind etwas glücklich. |
Im Rahmen eines Preisgewinns im Ende 2021 (1. Preis für eine Kurzgeschichte) wurde ich zu einem zweiwöchigen Schreibaufenthalt nach Brüsenhagen/Prignitz/Brandenburg eingeladen. Ich wohnte dort auf Hof Obst in einer geräumigen Ferienwohnung und hatte alle Zeit der Welt, um neue Texte zu schreiben. Neben den äußerst netten Menschen, die ich kennenlernen durfte, hat mich besonders die Landschaft beeindruckt und ihre Auswirkungen auf meine Großstädterseele.
Vielleicht ist es ja so abgelaufen: Da rüffelt der Chef einer großen deutschen IT-Behörde seine Mitarbeiter und klagt, die Aktualität der hauseigenen Datenbank ließe sehr zu wünschen übrig, nein ihr Zustand sei schlicht desolat. Insbesondere die Liste der in Deutschland registrierten eMail-Adressen sei nicht nur lückenhaft, sondern strotze nur so vor Karteileichen. Sofort müsse etwas getan werden! Auffordernd schaut er in die Runde, doch keiner seiner Mitarbeiter sieht sich genötigt, alle 80 Millionen Deutsche durchzutelefonieren und nach ihren eMail-Adressen zu befragen. Außerdem, so wendet ein Mitarbeiter ein, seien die Menschen ja so knauserig mit ihren Daten. Eine komplette Liste aller eMail-Adressen der Deutschen sei absolut utopisch. Doch dann hat jemand, ein kleiner Sachbearbeiter aus der letzten Bank, eine geniale Idee.