Buch |
Anständig essen |
Ein Selbstversuch von Karen Duve |
„Manchmal wünschte ich, ein Hackbraten wäre wieder ein Hackbraten, ein Grillfest ein großes Vergnügen und ich könnte in eine Bratwurst beißen, ohne dass dafür an finsteren Orten wochen- und monatelang gelitten wird."
So beginnt der Klappentext des Buches Anständig essen von Karen Duve. Dieses Seufzen kann ich mehr als nachvollziehen. Schon, nachdem ich Tiere essen von Jonathan Safran Foer gelesen hatte, fühlte ich mich wie Cypher, dem Verräter im Film Matrix, der schmerzlich bereut, genau wie Neo die rote Kapsel der Wahrheit und Erkenntnis gewählt zu haben. Karen Duve aber geht noch weiter als Jonathan Safran Foer und zeigt, dass bei einer vegetarischen Ernährungsweise das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht sein muss.
"Urteile nie über einen anderen, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gegangen bist." Dieser Weisheit folgend hatte sich die Autorin Ende 2009 dazu entschieden, jeweils zwei Monate lang
Während dieser Zeit recherchierte sie ausführlich über die Produktionsbedingungen unserer Lebensmittel, insbesondere über die Haltungsbedingungen des lieben Viehs. Dass dieses überwiegend in Massentierhaltung leiden muss, ist für uns Konsumenten wohl kaum noch ein Geheimnis, das wissen wir spätestens seit den erschütternden Fernseh-Dokumentationen aus den 80ern. Einiges andere aber, was man in Anständig essen erfahren kann, war mir durchaus neu. Und wenn ich es schon wusste oder ahnte, wollte ich es nicht wahr haben (blaue Kapsel). Einige, wenige Beispiele:
Anders, als ihr amerikanischer Schriftsteller-Kollege Jonathan Safran Foer, der in Tiere essen Haltungsformen und Schlachtvorgänge geradezu minutiös beschreibt, legt Karen Duve nicht ganz so viel Wert auf solche Detailinfos. Stattdessen tischt sie einem brühwarm ihr eigenes Seelenleben während ihrer Recherchen auf, garniert mit sehr viel Selbstironie und Humor. Sie stellt ausführliche philosophisch-ethische Überlegungen an, die nicht haltmachen vor den Grenzen, hinter denen es schwierig wird, überhaupt noch Wege zur eigenen Ernährung zu finden. Genau das macht ihr Buch für mich zu etwas ganz Besonderem.
Wenige Beispiele ihrer Gedankengänge möchte ich kurz anreißen:
1. Das Wissen um die Sachlage beeinflusst nur wenig, was wir essen. Karen Duve legt anschaulich dar, dass der Mensch kaum dazu in der Lage ist, sich für etwas zu entscheiden, bei dem die resultierenden Nachteile für ihn zu groß wären. Faktenlage hin oder her – wenn es ihn persönlich zu viel kostet, wird er die Fakten einfach ignorieren oder eine bewusste Entscheidung verweigern.
2. Die Überheblichkeit, mit der der Mensch sich voller Überzeugung als Krone der Schöpfung tituliert, entspricht in etwa der Dreistigkeit einer Lebensmittelfirma, die sich selbst ein Bio-Siegel verleiht (was laut Frau Duve durchaus vorkommt). Genau dieses Gefühl der Einzigartigkeit aber muss oft genug als Argument herhalten, wenn es um die Frage geht, ob wir Tiere überhaupt töten dürfen.
Doch auch Pflanzen sind Lebewesen. Sie bei diesen Überlegungen außen vor zu lassen, ist nicht weniger arrogant als das Vorgenannte. Es mag absurd erscheinen, Pflanzen nicht töten zu wollen, und man läuft Gefahr, sich sehr lächerlich zu machen. Karen Duve aber zeigt mutig, warum Lachen fehl am Platze ist und lediglich als Selbstschutz vor den Konsequenzen solcher "abstruser" Überzeugungen fungiert.
3. Letztlich muss jedem angehenden Vegetarier, Veganer oder Frutarier klar sein: Es wird immer Stückwerk bleiben. Menschliches Leben ohne Schädigung anderer Geschöpfe kann es nicht geben. Die Arbeit auf dem Feld, egal wie vorsichtig man dabei auch vorgehen wird, tötet Lebewesen. Schon bei einem Fußmarsch zum Feld zertritt man unzählige Kleintiere und Pflanzen. Karen Duve zitiert zu dieser Erkenntnis einen Satz von Albert Schweitzer:
Dies ist die Vorgabe, und die gilt es auszuhalten.
Doch muss man auch erkennen, dass die eigene Ernährung längst nicht mehr nur ein gesundheitliches oder ethisches Thema ist, schon gar kein rein privates. Dass der globale Fleischkonsum stärker am drohenden Klimawandel beteiligt ist als das gesamte Verkehrswesen, scheint bereits Konsens zu sein. Ebenso, dass er den Welthunger fördert und den Regenwald frisst. Offensichtlich reicht es lange nicht, nur noch Öko-Produkte zu kaufen. Es reicht auch nicht, nicht ganz so viel Fleisch zu essen. Es reicht aber auch nicht, z.B. alle Lederwaren durch Kunststoffe zu ersetzen, denn auch das Erdöl ist knapp.
Inzwischen geht es um viel mehr, als nur ein paar Löcher zu stopfen, das wird in Anständig essen deutlich. Ein riesiges Handlungsfeld tut sich dem auf, der Karen Duve den kleinen Finger reicht und mit ihr beginnt, über die eigene Ernährung nachzudenken. Sehr bald könnte ihm dabei klar werden, dass letztlich umfassende Nachhaltigkeit gefragt ist: weg von der Wegwerfgesellschaft, weniger Konsum, überlegteres Handeln.
Leider ist der Mensch auf diesem Ohr ziemlich taub, und das Wort Verzicht gehört eindeutig nicht zu seinem aktiven Wortschatz. Sich den genannten Zielen aber mit kleinen Schritten zu nähern ist immer noch deutlich besser, als es gar nicht zu tun – selbst dann, wenn man Albert Schweitzers Klage damit nur unzureichend entkräften wird.
"Wie viel gönne ich mir auf Kosten anderer?"
So endet der Klappentext des Buches. Da wohl auf der ganzen Welt das Essen von Pflanzen und Tieren erlaubt ist, wird sich hier jeder anders entscheiden. Doch gemeinsam mit der Autorin bin ich gespannt, wann der erste Staat sich durch verschiedene Nöte gezwungen sieht, seinen Bürgern den Fleischkonsum zu untersagen.
Galiani, Berlin, 2010 |
336 Seiten |
ISBN-10: 3869710284 |
ISBN-13: 978-3869710280 |
Anständig essen - PETA zu Besuch bei Karen Duve | http://www.youtube.com/watch?v=5_SQbTmAKn0 |
Rettung von Biohuhn Rudi | http://www.youtube.com/watch?v=_3Zmv5HnTaQ |
„Es ist ein sehr poetisches Buch.“ Mit diesen Worten lud mich eine Freundin zu einer Lesung ein. Und mit diesen Worten hatte sie mich gewonnen. Ich folgte der Einladung in eine kleine örtliche Buchhandlung und hörte sie aus Titus Müllers Der Schneekristallforscher lesen. Ich wollte wissen, ob sie mit ihrer Behauptung Recht gehabt hatte. Hatte sie!
Vor einiger Zeit war ich im Internet unterwegs auf der Suche nach Informationen über Altersweitsichtigkeit, die mich als Ü40er langsam zu interessieren hat. Gefunden habe ich unter anderem ein freies eBook, das sich mit optischen Phänomenen in Natur und Alltag beschäftigt und deshalb auch genau so haist, nein heißt. Geschrieben wurde es von Tobias Haist, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Universität Stuttgart. Durchgelesen habe ich mir damals zunächst nur das Augen-Kapitel (eben wegen der lästigen Weitsichtigkeit) und war sofort begeistert.