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Film

Liebe

eine Zumutung von Michael Haneke

Liebe vom österreichischen Regisseur und Drehbuchautor Michael Haneke ist kein Liebesfilm. Er ist eine Zumutung. Schon der Vorspann ist eine Zumutung: es ist totenstill, während die Namen der Beteiligten weiß auf schwarz über die Leinwand flimmern, so still, dass man fürchtet, der Filmvorführer hätte vergessen, die Lautsprecher einzuschalten. Aber auch der Inhalt des Films ist eine Zumutung. Liebe gehört zu der Handvoll Filme, bei denen ich konkret überlegt habe, den Kinosaal zu verlassen.

Georges und Anna sind ein Ü80-Ehepaar. Schon bald nach Filmbeginn erleidet Anna einen Schlaganfall und ist halbseitig gelähmt. Georges kümmert sich geduldig und liebevoll um sie, während sie sich selbst sehr zuversichtlich gibt und positiv auf alles blickt, was sie noch allein bewerkstelligen kann. „Ich bin ja kein Krüppel“ sagt sie barsch, als Georges sich mal wieder etwas zu intensiv kümmern will.

Doch schon kurz darauf zerstört Anna ihr eigenes Image der tapferen Kranken. „Du bist immer wieder für eine Überraschung gut“, bescheinigt ihr Georges, als sie ihm eröffnet, dass sie so nicht mehr weiterleben will. „Das sagst du nur, weil du mir nicht zur Last fallen willst“, behauptet er nach einer kurzen Diskussion. Damit und mit seiner empörten Haltung verhindert er eine tiefergehende Aussprache zu diesem wichtigen Thema. Dies scheint mir symptomatisch zu sein in einer Gesellschaft, in der mancher lieber den Kinosaal verlassen will, als sich einem ungeliebten Thema auszusetzen. Nicht nur der Tod wird aus unserem Leben gerne ausgesperrt, sondern auch eventuelles Leid davor.

Aber woraus besteht das Leid eines so kranken Menschen eigentlich? Michael Haneke trifft für mich den Nagel auf den Kopf, indem er darstellt, dass es gar nicht unbedingt die Mühe ist, die Arbeit oder die Zeit, die einfachste Alltags-Handlungen plötzlich fordern. Es ist auch nicht einfach fehlendes Geld, das die Probleme hervorruft (der Film handelt bewusst in einem Milieu, in dem Geld keine Rolle spielt). Ich lese aus seinem Film, dass es der Verlust von Autonomie und noch viel wesentlicher der Verlust von Würde und Privatheit ist, der so manchen Lebenswillen brechen kann.

Liebe ist ein etwas anderer Film. Er bedient nicht die üblichen Erwartungen an ein modernes Lichtspiel. Filmmusik als reine Untermalung gibt es nicht. Kamerafahrten? Fehlanzeige. Kameraschwenks? Ich kann mich an kaum einen erinnern. Das Blickfeld ist stets fest und starr auf das Geschehen gerichtet, auf die Pflege, das Mühen, das Leiden. Ich habe den Eindruck, Michael Haneke wolle den Zuschauer mit allen Mitteln daran hindern wegzusehen, sobald es den Drang dazu verspürt. Selbst, wer die Augen verschließt, wird weiter von den Geräuschen eines beschwerlichen Lebens heimgesucht. Dies ist eine Zumutung, eine gewollte Zumutung.

Und wozu das alles? „Hast du denn nie daran gedacht, dass uns so etwas treffen könnte?“, wundert sich Georges in einer Filmszene über seine Frau. Ihre Antwort ist vielleicht ein Schlüsselsatz in diesem Film: „Daran zu denken ist nicht dasselbe, wie es zu erleben.“ Ich glaube, Haneke möchte sein Publikum einen kleinen Schritt weg vom nur-Dran-Denken hin zum Erleben führen, soweit das in einem Film realisierbar ist. Dieses Ziel erreicht er weniger durch explizite Darstellung der Krankheit, sondern eher durch eine große Nähe zwischen Kamera und Akteuren, immer mit dem Fokus auf die Gefühle, die sich auf ihren Gesichtern abzeichnen, sowie durch schmerzhaft lange Szenen.

Und bei all dem Schmerz, den dieser Film vermittelt, lautet sein Titel schlicht Liebe. „Wo gibt es im Film "Liebe"?“, fragt eine Person im Kommentarbereich der Film-Website, offensichtlich erschrocken über konkrete Handlungen und Aussagen der Protagonisten. Genau das scheint mir der Kern all der provokanten Fragen zu sein, die Michael Haneke seinem Publikum gnadenlos vorhält. Wie gehe ich mit kranken Angehörigen um? Wie gehe ich als Kranker mit meinen Angehörigen um? Was kann ich ihnen, was dürfen sie mir zumuten? Und was davon ist Liebe, was nicht mehr?

Die Intensität der Bilder und Geräusche zwingt die Zuschauer, sich genau damit auseinanderzusetzen. Die Einen werden das bedingungslose und bis zum Ende anhaltende Kümmern um einen Kranken als größten Liebesbeweis ansehen, die Anderen vielmehr die Bereitschaft, einem Sterbewilligen aktiv beim Sterben zu helfen. In der Tat ist die aktive Sterbehilfe eines der großen Themen dieses Films. Kein Wunder, denn der Drehbuchautor und Regisseur Michael Haneke war nach eigenem Bekunden selbst betroffener Angehöriger, der von seiner Tante konkret um aktive Hilfe beim Sterben gebeten wurde. Kaum größer können die gegenseitigen Zumutungen sein: sowohl die Zumutung, das Töten der eigenen Person von einem Angehörigen zu erbitten, der damit Seelenqualen und Freiheitsstrafe riskiert, wie auch die Zumutung, einen aussichtslos Kranken gegen seinen Willen qualvoll im Leben dümpeln zu lassen.

Liebe macht deutlich, wie wichtig es ist, über dieses Thema zu reden, solange man noch kann. Und zwar nicht allein mit einem Lebenspartner, der vielleicht sogar bereit wäre, auch unorthodoxe Wünsche für die letzten Schritte im Leben zu erfüllen. Anna verpasst diese Chance. Nur Georges teilt sie mit, dass sie niemals wieder in ein Krankenhaus möchte, und das auch nur in der oben schon erwähnten kurzen, oberflächlichen Diskussion. Ihre Tochter allerdings erfährt nichts darüber von Anna persönlich. Als Folge wundert und ärgert sie sich nur darüber, dass ihr Vater seine Frau bis zum Ende zu Hause pflegen will. Neben der Fürsorge für Anna hat Georges ab sofort auch gegen die Anfeindungen seiner Tochter zu kämpfen. Überforderung und soziale Isolation sind die Folge.

Eine offene Aussprache im nicht zu engen Familienkreis hätte dies verhindern können. Eine Aussprache am besten zu einer Zeit, in der noch niemand erkrankt ist. Doch „daran zu denken ist nicht dasselbe, wie es zu erleben“. Daher scheint es mir geradezu notwendig, sich mit Krankheit und Tod umfassend auseinander- und sich mutig dem Thema auszusetzen. Eine anspruchsvolle Aufgabe, die sicher nicht jedem gelingen will.

Schon sich Liebe auszusetzen ist eine Herausforderung. Doch ich bin froh, dass ich mir das Ende doch noch angesehen habe, um das der Autor nach eigener Aussage beim Schreiben lange gerungen hat – auch, wenn es eine Zumutung war.


Originaltitel: Amour
Regie: Michael Haneke
Drehbuch: Michael Haneke
Erscheinungsjahr: 2012
Länge: 127 Minuten
Altersfreigabe: FSK 12
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