Wenn Geschenke nerven |
Kürzlich, pünktlich zu Weihnachten 2024, ist mir klargeworden, warum ich keine Geschenke mag. Kürzlich erst. Das ist komisch, denn schon immer muss ich mich rechtfertigen dafür, warum ich sowohl aufs Schenken als auch aufs Geschenkekriegen verzichte, zu Weihnachten, zum Geburtstag und sonstwann. Ich stottere dann immer etwas von – keine Ahnung, was ich dann immer stottere. Jedenfalls mag ich keine Geschenke. Das ist auch der Hauptgrund, warum ich Weihnachten nicht leiden kann. Aus vollem Herzen. Denn bei Weihnachten geht es – ums Schenken.
Ich höre jetzt die empörten Stimmen, die mich darauf hinweisen, dass Weihnachten doch wohl das Fest der Liebe ist, an dem man an seine Liebsten denkt. Ein Fest des Teilens, des Innehaltens, der Besinnlichkeit. Oder noch eigentlicher das Fest der Geburt Jesu Christi, der einst die Welt gerettet haben soll. Okay, Letzteres lasse ich mal gelten als Gegenstand eines persönlichen Glaubens. Ersteres aber, das Fest der Liebe und Besinnlichkeit, ist eine Illusion. Ja, ich gebe zu, dass es einzelne Menschen gibt, die das so leben. Und nur weil ich als Kindertheater-Techniker keine Besinnlichkeit in der Weihnachtszeit finde, heißt das nicht, dass es andere nicht doch tun. Aber gerade als Kindertheater-Techniker, dessen arbeitsreichsten Wochen in der Weihnachtszeit liegen, höre ich doch die Aussagen all der Kinder, dass die Geschenke das Wichtigste sind am Fest. Auch all die altbackenen, tragisch-düstersten Weihnachtsgeschichten, die das Gute im Menschen in schweren Zeiten heraufbeschwören, und auch die kitschigsten Filme aus Hollywood können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es an Weihnachten vordergründig um Kapital geht, das den Besitzer / die Besitzerin wechselt. Das Schenken, das ursprünglich mal als „an seine Liebsten denken“ gedacht war, hat sich längst verselbstständigt.
Aber nicht nur zu Weihnachten wird geschenkt. Geburtstag, Namenstag, Kommunion, Konfirmation, Zeugnis, Schulabschluss, Hochzeit, Geburt, Taufe, … All dies sind Anlässe, an denen es üblich ist, dass geschenkt wird. Und es ist nicht nur üblich, es wird auch erwartet. Man verzeihe mir meinen Zynismus, aber das Schenken ist wohl das erfolgreichste Mittel, um den Wert, die Besonderheit, die Würde des eigentlichen Anlasses in den Hintergrund zu drängen. Extrem-Beispiel Konfirmation: Wie viele Kinder lassen sich nur deshalb konfirmieren, weil sie ansonsten nicht absahnen können? Wem geht es dabei wirklich um seine Verbindung zu Gott? Beispiel Schulzeugnis: Die Leistungen des Zöglings mit Geld aufzuwiegen (x,-€ für eine Eins, y,-€ für eine Zwei, …), ist sicher die schlechteste Art der Motivationsförderung. Vielleicht ist es aber auch die beste, weil erfolgversprechendste. Mit Anerkennung und Wertschätzung hat es aber nichts zu tun. Beides könnte Menschen stark machen und ihr Selbstbewusstsein fördern. Stattdessen lernen sie, sich für Geld anzustrengen, um nicht zu sagen: zu prostituieren.
Das Beispiel Hochzeit ist etwas anders gelagert. Hierbei erfüllte das Schenken einst tatsächlich eine wichtige Rolle. Wenn zwei Menschen heirateten, gründeten sie damit meist auch ihren ersten eigenen Haushalt. Diesen halbwegs auszustatten war Aufgabe – neben der Aussteuer – des Schenkens. Kaffeegeschirr, Kleiderschrank oder Waffeleisen konnten Verwandte und Freunde auf diese Weise beisteuern, sodass der Start des neuen Ehepaares im eigenen Heim erleichtert wurde. Doch heute? Die meisten Brautpaare der westlichen Welt leben heutzutage doch schon lange zusammen, wenn sie das Standesamt behelligen. Oder sie heiraten so spät, dass sie schon längst nicht mehr bei Papa und Mama wohnen. So vereinen sich bei einer Hochzeit eher zwei Haushalte zu einem, als dass ein neuer aus dem Nichts gegründet wird. Was also schenken heutzutage? Nicht zu schenken, da der Bedarf gar nicht besteht, scheidet kategorisch aus. Also wird irgendwas geschenkt. Oder Gutscheine. Oder Geld. Geld kann man immer gebrauchen. In Sachen Hochzeit jedenfalls hat sich das Schenken verselbstständigt. Eine Notwendigkeit dazu wie in früheren Zeiten gibt es nur noch selten.
Es existieren zahllose ungeschriebene Gesetze, wer wem wann was und in welchem Wert schenken soll. Oft scheint es so, als sei das Schenken ein anerkannter Gradmesser für die Tiefe einer Beziehung oder Freundschaft. Und doch sind es letztlich nur sture Konventionen, die mehr gesellschaftlich festgeschrieben sind als auf einer persönlichen, individuellen Beziehungsebene. Diese Konventionen zu ignorieren, erfordert Mut, und ihre Missachtung ruft Unmut hervor. Wer will sich solchem Unmut aussetzen? Wer wagt es, zu einem Geburtstag ohne ein Geschenk zu erscheinen? Wenigstens ein Gutschein muss es sein, wenn einem schon nichts besseres einfallen will. Diesen bekommt man dann beim eigenen Geburtstag in gleichem Wert zurück. „20€? Nee, lass uns mal 30€ machen, er hat letztes Jahr auch 30€ geschenkt“ – so oder so ähnlich gestalten sich so manche Schenk-Überlegungen. Das hat eher mit Betriebswirtschaft zu tun als mit menschlichen Beziehungen.
Natürlich gibt es auch einfallsreichere Schenkende, solche, die sich etwas Spannendes, etwas Persönliches ersinnen. Viele lassen sich ein auf die zu beschenkende Person, überlegen genau, was passen könnte, haben das Jahr über ein gespitztes Ohr für Wünsche und Bedürfnisse. Beispiel: Mein Vater, dessen Werkzeug ich in meinen Jugendtagen ausgiebig für alle möglichen Basteleien verwendet habe, hat genau das beobachtet und noch vor mir begriffen, dass ich der größere Bastler von uns beiden bin und mit seinem altbackenen, unvollständigen Werkzeug eigentlich nicht zufrieden sein kann. So hat er im professionellen Werkzeugeinzelhandel (sowas gab es damals noch) einen üppigen Werkzeugkasten zusammenstellen lassen mit Fokus auf Elektrik und Metallbearbeitung, was damals genau mein Ding war. Und eines Tages stand er einfach da, der knallrote Werkzeugkasten, hat mich aus den Socken gehauen und zu Tränen gerührt – nicht wegen seines Geldwertes, sondern wegen der Aufmerksamkeit und der werkzeuggewordenen – ja – Liebe meines Vaters. Das Werkzeug verwende ich heute noch, bald vierzig Jahre später. Wenn das nicht mal ein nachhaltiges, sinnvolles Geschenk war!
Aber es gibt auch andere fantasievoll Schenkende, solche, die weniger auf die Bedürfnisse des Gegenübers achten, als vielmehr auf die eigenen Vorlieben. Sie schenken, was ihnen selbst gefällt. Oder sie schenken, weil ihnen das Schenken gefällt. Auch bei ihnen hat sich das Schenken verselbstständigt. Es ist zu einem Bedürfnis geworden, das erfüllt werden will. „Ich schenke, weil ich so gerne schenke“, habe ich in dieser Weihnachtszeit von jemandem gehört. Und auch, wenn dieser Jemand widersprechen würde: Hier ist das Schenken wohl reiner Egoismus.
Egoismus, unter dem andere gegebenenfalls leiden müssen. Leiden unter dem Beschenktwerden? Ja tatsächlich, das gibt es. Denn es gibt Leute wie mich, die ihrerseits weder das Schenken noch das Beschenktwerden leiden können. Seit Jahren und Jahrzehnten verschenke ich nichts mehr zu Weihnachten und zu mach anderen geschenkeüblichen Gelegenheiten. Und ebenso lange bitte ich darum, auf Geschenke für mich zu verzichten. Ich feiere meinen Geburtstag nicht, auch weil ich keine Geschenke riskieren will. Ich hasse Weihnachten, auch wegen der Geschenkeflut. Und ebenso lange, wie ich darum bitte, mir nichts zu schenken, wird diese Bitte immer wieder ignoriert. Es gibt Menschen, die sie klaglos akzeptieren, aber viele andere können es nicht lassen. Von außen betrachtet erscheint es beinahe wie ein Zwang, mir etwas zu schenken. Entweder, weil einem die tief verinnerlichte Angst vor dem o.g. Unmut im Nacken sitzt, oder weil der angesprochene Egoismus zu stark ist, oder beides. Und ja, das nervt gewaltig.
Das Wort „schenken“ hat gemeinsame Wurzeln mit dem Wort „schräg“. So bedeutet „einschenken“ etwa, jemandem ein Getränk zu geben, einzuschütten, also den Behälter (etwa eine Kaffeekanne) schräg zu halten. Auch das Wort „hinken“ geht auf diese Wurzel zurück. |
Warum mag ich keine Geschenke? Weil die Fälle, in denen jemand so goldrichtig liegt wie mein Vater damals, so schrecklich selten sind. Viel häufiger ist es so, dass ich das Geschenk schlicht nicht gebrauchen kann. Ich mag es nicht, wenn ich Dinge besitze und nicht nutze. Meine Wohnung enthält zahllose Dinge, große und kleine, die ich geschenkt bekommen habe, für die ich aber einfach keine Verwendung habe, die rumstehen, die vergammeln und die ich irgendwann wegschmeiße oder – oh Schreck – verschenke. Oder sie haben meinen Bauch vergrößert und mein Diabetes-Risiko erhöht, kurz: meinen inneren Schweinehund gemästet, den ich gerade glaubte, überwunden zu haben. Wir leben in sehr individuellen Zeiten. Wenn ich mir etwas kaufe, dann habe ich das in der Regel vorher gründlich durchdacht, ob es nun ein Eis an einem sonnigen Tag ist oder ein neuer Computer. Es ist dann auch genau das, was ich mir wünsche, und nicht etwa ein vergleichbares Ding eines anderen Herstellers oder einer anderen Qualitätsstufe. Es ist genau das, kein anderes. Und welches, das weiß niemand außer mir. Ah, ich könnte eine Amazon-Wunschliste führen und unter meinen Freunden streuen, dann wäre dieses Problem gelöst. Doch nein, wäre es nicht. Ich will jenes Ding nicht geschenkt haben! Ich will es mir kaufen! Ich will dafür bezahlen müssen, ich will seinen Wert erkennen, anhand der Banknoten be-greifen, ich will spüren, was es bedeutet, sich so etwas anzuschaffen. So kann ich es wertschätzen und gut behandeln. Das ist mein Ansatz für Nachhaltigkeit. (Dass ich mich über den Werkzeugkasten meines Vaters gefreut habe und ihn bis heute wertschätze, obwohl ich ihn nicht selbst bezahlt habe, mag als Widerspruch erscheinen; doch erstens war mein Individualismus damals noch nicht so weit entwickelt wie heute, zweitens war dieses Geschenk eben ein totaler Volltreffer, was sonst eben nur sehr selten vorkommt)
„Wenn Geschenke nerven“ – so lautet der Titel dieses Artikels. Ja, manchmal nerven Geschenke, mich beinahe immer. Ich mag keine Geschenke, und das wird oft genug wissentlich ignoriert. Es ist natürlich die Frage, welches Bedürfnis höher wiegt: meines, keine Geschenke zu bekommen, oder das der anderen, Geschenke zu machen. In meinem Umfeld wägt das jeder und jede unterschiedlich ab. Manchmal ist das eben sehr nervig.
Ach ja, falls nun jemand den Eindruck hat, ich hielte Geschenke generell für doof: falsch gedacht. Geschenke können super sein, nur ich brauche einfach (momentan) keine. Eine kleine, willkürliche, unvollständige, unendlich erweiterbare Liste wirklich genialer Geschenke findet sich hier:
Wir leben in turbulenten Zeiten. Wer will das bestreiten? Klimawandel, Krieg in Europa, wachsender Populismus in Politik und Gesellschaft, Inflation, Spaltung, Extremismus – vieles davon ist beängstigend für die meisten Menschen meines Umfelds. Ich selbst habe nie einen Krieg erleben müssen, doch jetzt steht er – gefühlt – vor der Tür. „Die Aussicht auf ein gutes Leben schwindet“, sagt der Studienleiter der aktuellen Studie „Jugend in Deutschland 2024“, wenn er über die Sorgen junger Menschen der Generation Z spricht (14 bis 29 Jahre). Und tatsächlich hat man oft den Eindruck, als ereile uns zur Zeit eine Katastrophe nach der anderen. Wie soll man in diesen Zeiten die Hoffnung bewahren?