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Über die real existierende Soziale Marktwirtschaft

letzte Gedanken zur Bundestagswahl 2013

"Wir können doch wählen, was wir wollen", sagt der Kabarettist Volker Pispers seit Jahren in seinem zeitlosen, aber stets aktualisierten Programm Bis Neulich. "Rot-Grün, Schwarz-Gelb, die große Koalition, wir hatten schon Ampeln, Schwampeln und Hampeln", behauptet er und fragt, was sich denn auf sozialer Ebene jeweils verbessert habe in Deutschland. Nichts, so resümiert er, und denjenigen, die das nicht glauben wollen, gibt er sechs Wochen Zeit zu recherchieren. Warum nichts? Weil die fünf ehemaligen Regierungsparteien "sich alle in demselben Argumentationskreislauf des kapitalistischen Wirtschaftssystems bewegen."

Kapitalistisches Wirtschaftssystem? Ich dachte eigentlich immer, die Bundesrepublik hätte sich einst der sozialen Marktwirtschaft verschrieben. Doch habe auch ich inzwischen das dumpfe Gefühl, dass das "sozial" gewaltig in den Hintergrund gedrängt worden ist. Die berühmte Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter, wer bestreitet das noch? Dies ist aber keine Frucht einer sozialen Marktwirtschaft, sondern des entfesselten Kapitalismus.

Die soziale Marktwirtschaft ist nach meiner Definition ein gezügelter und in erträgliche Bahnen gelenkter Kapitalismus – für Alle erträglich! Das Wirtschaftssystem soll grundsätzlich frei arbeiten können, aber ohne dabei die Solidargemeinschaft zu zerstören. Und genau dies, die Solidargemeinschaft, ist das Stichwort, das ich für eine Gesellschaft, für das Zusammenleben ansich, als den wesentlichsten Punkt ansehe.

Was ist eine Solidargemeinschaft? Eine Solidargemeinschaft erkennt an, dass Menschen unterschiedlich sind, dass Risiken und Chancen ungleich verteilt sind, also etwa Gesundheit, Talente, Durchhaltevermögen und Elan. An dieser Unterschiedlichkeit, die mancher auch als Ungerechtigkeit empfinden wird, kann eine Solidargemeinschaft nichts ändern. Doch sie kann die daraus resultierenden Vor- und Nachteile etwas gleicher verteilen, namentlich dadurch, dass sie Finanzströme lenkt.

Der entfesselte Kapitalismus dagegen lässt den Dingen ihren Lauf. Er verfährt nach ganz einfachen Prinzipien, etwa dem archaischen Recht des Stärkeren oder dem biblischen Motto "Wer hat, dem wird gegeben". Das Ergebnis ist eine Ungleichverteilung, wie wir sie alle von Monopoly her kennen: In diesem Spiel gewinnt in der Regel recht bald ein Spieler die Oberhand, und es muss schon mit dem Teufel zugehen, wenn dieser dann nicht auch das Spiel gewinnt – mit Millionen in seiner Hand und rein gar Nichts in der Hand seiner Gegner.

Kapitalismus muss gezügelt werden im Sinne der Solidarität unter den Menschen. Doch das scheint mir nicht die deutsche Politik der vergangenen Jahrzehnte zu sein. Vermutlich geschieht dies aus einem allgemeinen Zeitgeist heraus – Politiker machen schließlich nur das, was ihre Wähler wollen. Wer kann denn mit dem Begriff der Solidarität wirklich etwas anfangen, außer vielleicht noch innerhalb einer Familie? So oft höre ich, wie wir Bürger übereinander herziehen: Arbeitende über Faule, Arbeitslose über den Staat oder gleich über die Ausländer. Wir alle jammern doch über die Solidarität! Die Krankenkassen der Besserverdiener schimpfen über den Risikostrukturausgleich, die reichen Bundesländer über den Länderfinanzausgleich, die Wessis über den Soli, und alle gemeinsam ärgern wir uns über die Steuern.

Ach ja, die Steuern. "Steuern kommt von steuern", schrieb Gilbert Dietrich in einer Kolumne. Sie sind ein wesentliches Mittel, die o.g. Finanzströme zu lenken. Wer Steuern zu sehr senkt, der nimmt dem Staat die Möglichkeit, Solidarität zu finanzieren und trägt zur Entfesselung des Kapitalismus bei. Wollen wir das wirklich? Sind wir denn bescheuert, uns Steuersenkungen als Wahlgeschenke zu wünschen? Gut, für die wenigen Ganz-Reichen mag das vielleicht sinnvoll sein. Die können ja auch die Privatschule für ihre Kinder finanzieren, sich privat kranken-, pflege- und rentenversichern, oder oder oder ...

Sehen wir eigentlich nicht, was höhere Solidaritäts-Abgaben (Steuern) leisten könnten? Warum regt sich Deutschland auf über Solidarität? Warum hält das Wahlvieh auf der anderen Seite so klaglos die heilige Kuh der Wirtschaft am Leben?

  • Warum wurden Banken, die sich durch unverantwortliches Handeln ruiniert haben (oder waren das Naturgewalten?), durch Steuergelder gerettet? Warum mussten die wenigen Banken, die bis dahin nachhaltig gewirtschaftet hatten (ja, die scheint es zu geben), in die Röhre schauen?
  • Warum werden Managergehälter nicht gedeckelt? – Wenigstens auf das 25.000-fache eines Arbeiterlohns, wie es laut Wahlomat die Spaß-Partei Die Partei fordert ;-)
  • Warum gibt es überhaupt die Möglichkeit, sich der gesetzlichen Krankenkasse zu entziehen, wenn man nur genug verdient oder beamtet ist?
  • Warum lassen wir zu, dass Fördervereine (Privatgelder!) heute schon einen großen Teil der Schulausstattungen finanzieren müssen?
  • Warum bleibt die finanzielle Last eines Alters- oder Pflegeheimplatzes noch immer weitgehend an den betroffenen Familien hängen?
  • Warum ist Pflegepersonal so schlecht bezahlt?
  • Warum ist es uns egal, dass Schulbildung in Deutschland heute deutlich direkter vom elterlichen Einkommen abhängt als in anderen europäischen Ländern?
  • Warum gibt es im Steuerrecht keine Kinder-Großzieh-Tabelle, dafür aber eine Ehegatten-Splitting-Tabelle, die Verheiratete, auch verheiratete Doppelverdiener steuerlich begünstigt, anstatt gezielt Haushalte mit (für unser aller Zukunft wichtigen) Kindern?

Dies sind meine Fragen in Sachen Sozialer Marktwirtschaft. Mein ganz subjektiver Eindruck ist dagegen, dass diese Dinge für die meisten von uns nicht halb so wichtig sind wie die Angst, ob wir uns denn auch das neue iPhone 5 leisten können.

Was hat das mir der Bundestagswahl zu tun? Ich wundere mich halt mit Volker Pispers, dass Deutschland seit Jahrzehnten in dem immer gleichen Parteien-Pool herumrührt. CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne scheinen die einzig wählbaren Parteien zu sein, obwohl genau sie es waren, die uns hierher gebracht haben. Ich sehne mich nach etwas Neuem, nein eigentlich nach etwas Altem: nach Solidarität und Sozialer Marktwirtschaft. Daher wähle ich in diesem Jahr ganz nach Parteiprogrammen. Mein taktisches Wahlverhalten, das panisch darauf achtete, dass meine Stimme ja nicht unter "Sonstige" verloren geht, werde ich damit aufgeben. Keine Stimme geht verloren. Jede Stimme stärkt eine Partei, und sei es nur für spätere Wahlen.

Der o.g. Artikel von Gilbert Dietrich heißt übrigens Dem Urnenpöbel ekelts und ist als Kolumne bereits vor der Bundestagswahl im Jahre 2009(!) erschienen. Er enthält u.a. eine interessante Analogie zur Bankenrettung.

Volker Pispers
Zum Ausgang der Bundestagswahl 2013
http://www.youtube.com/watch?v=t1j1A4KpMbA
Dem Urnenpöbel ekelts
von Gilbert Dietrich
bei Kolumnen.de
http://kolumnen.de/kolumnen/dietrich/dietrich-200909.html
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