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TV-Duell im deutschen Fernsehen

am 01.09.2013

Über Deutschland-Halsketten und nicht-rote Krawatten

Vier Kontrahenten trafen gestern Abend aufeinander in einem senderübergreifenden Gemeinschaftsprogramm: Peter Kloeppel von RTL, Maybritt Illner vom ZDF, Anne Will von der ARD und Stefan Raab von Pro7. Es war wieder Rededuell-Zeit im deutschen Fernsehen. Ach ja, Peer Steinbrück und Angela Merkel waren auch da.

Es ist schon erstaunlich, wozu diese vier Sendeanstalten in der Lage sind: Ein gemeinsames Happening zu gestalten, ohne sich (öffentlich) zu streiten. Brav standen die First-Class-Moderatoren nebeneinander und verfolgten ein gemeinsames Ziel: im Buhlen um Fernsehzuschauer das Feld nicht kampflos der Konkurrenz zu überlassen. So gestaltete jeder Sender vor und nach dem Rededuell sein eigenes Vor- und Nachprogramm. Stefan Raab schoss hierbei den Vogel ab, indem er live eine Talkrunde bis zur buchstäblich letzten Minute vor dem Duell moderierte und wenige Minuten nach deren Ende wieder vor Ort war. Das Duell selbst schien für ihn nur eine lockere Nebenbeschäftigung zu sein.

Und das war es vielleicht auch. Die Arbeit teilte er sich immerhin mit drei anderen Koryphäen, und nicht er, sondern die beiden anwesenden Politikschaffenden hatten tatsächlich den größten Redeanteil – sorgfältig überwacht und gewissenhaft durch die Moderation ausgeglichen. Denn wer mehr redet hat mehr Aufmerksamkeit, und wer mehr Aufmerksamkeit hat, wird immerhin Bundeskanzler oder -in.

Das wissen auch Politiker. In früheren Zeiten haben so manche von ihnen TV-Duelle abgelehnt. Vielleicht sahen sie sich je nach rhetorischer Gewandtheit des Gegners in einer zu schwachen Position. Wie sonst soll ich es mir erklären, dass sich Willy Brandt 1969 ein Fernseh-Duell mit Kiesinger wünschte, gut drei Jahre später aber eines gegen Barzel ablehnte. Hatte er nur seine Meinung über diese sehr amerikanische Art des Wahlkampfes geändert, oder hatte er vor dem einen Angst und vor dem anderen nicht? Seine offizielle Begründung lässt ersteres vermuten und trifft für mich ins Schwarze: Nicht der Kanzler, sondern die Sitzverteilung des Bundestags werde gewählt.

Und genau hier setzt meine persönliche Kritik an:

  • TV-Duelle fördern den Wunsch nach einer Art Direktwahl, die nach meinem Verständnis die Gestalter unserer Verfassung gerade verhindern wollten. Nicht eine Person sollte im Mittelpunkt eines Volksentscheides stehen, sondern die Parteien und damit ihre Programme. Ich sehe darin insbesondere den Wunsch, von jenem Personenkult wegzukommen, dem Deutschland vor 1945 verfallen war. Bei einer Parlamentswahl den Fokus bewusst auf die Parteien zu legen und den Kanzler vom Parlament wählen zu lassen, ist ein gelungener Ansatz, ein Land vor der Macht rhetorisch genialer Agitatoren zu schützen. Es ist ein kleiner Schritt zu mehr Sachlichkeit und gegenseitiger Kontrolle. Die heranwachsende TV-Duell-Kultur dagegen wird ihren Beitrag dazu leisten, die Rufe nach einer Kanzler-Direktwahl in den kommenden Jahren immer lauter werden zu lassen.
  • Ich bin ein Freund von Chancengleichheit. Ein TV-Duell aber fördert ganz bewusst genau zwei Parteien in nicht unerheblicher Weise. Mir ist klar, dass niemand ein Duell zwischen der Partei der Nichtwähler und den Violetten sehen möchte. Doch halte ich es für sehr bedenklich, dass öffentlich-rechtliche Sender zwei Parteien aus einer weiten Parteienlandschaft herauspicken, um ihnen ein enormes Forum zu bieten. Ist das denn kein Skandal? Warum nicht?
  • Rede-Duelle im Fernsehen transportieren nur am Rande politische Inhalte, vielmehr noch lenken sie davon ab. Natürlich kann ich nur für mich sprechen: Ich als Fernsehzuschauer jedenfalls achtete mehr darauf, dass die Merkel eine Deutschland-Kette trägt und der Steinbrück keine rote Krawatte, Merkel/Steinbrück
    © Gina Sanders - Fotolia.com
    dass Steinbrück kürzer und prägnanter reden kann (wenn er will), dass auch ein Raab eine Merkel bei weitem nicht in ihrem Redefluss unterbrechen kann, dass Steinbrück nach eigener Aussage 90 Kilo wiegt und tatsächlich ein mal versäumt, neben Krankenschwestern auch die Krankenpfleger zu nennen, dass beide die Mundwinkel sehr weit nach unten ziehen können und dass Anne Will mit leuchtenden Augen Stefan Raab anhimmelt, als würde sie denken: „Ach Mensch, sowas würde ich mich auch gerne trauen.“
    Sollte ich der Einzige sein, dem es so ergangen ist? Nein, denn in den Duell-Nachbesprechungs-und-Analyse-Talkrunden der vier Sender kamen immer wieder genau solche Nichtigkeiten auf den Tisch. Ja, es wurde auch über politische Inhalte diskutiert, hier vielleicht mehr als dort, doch beim Hin-und-Her-Zappen landete ich stets bei den persönlichen Stärken und Schwächen der beiden Prüflinge.

Die Heldin des Abends war für mich übrigens Erstwählerin und Germanys Wisest Top-Model Rebecca Mir, die neben Stefan Raab auf der Couch saß. Sie erklärte gleich zwei Mal, sie lasse sich von einem solchen Duell nicht beeinflussen. Stattdessen habe sie sich über die Programme der Parteien informiert und nach den größten Gemeinsamkeiten mit ihren eigenen Positionen gesucht, denn schließlich wähle man in Deutschland keine Personen, sondern Parteien.

Recht hat sie!

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