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Film

La Grande Bellezza

oder: die Schönheit und das Nichts

Angeblich heißt La Grande Bellezza auf deutsch Die große Schönheit. Ich kann kein Italienisch, aber das erscheint selbst mir einleuchtend. Anders als die englischsprachige Version des hier besprochenen Films (The Great Beauty; warum erinnert mich das nur an Pferde?) wurde im Deutschen der Originaltitel beibehalten. Auch das leuchtet mir ein, denn so bleibt die Nähe zur italienischen Hauptstadt Rom bestehen, in der dieser Film nicht nur spielt, sondern sich ergeht.

Der italienische Regisseur Paolo Sorrentino inszenierte vor wenigen Jahren bereits Cheyenne – This Must Be the Place mit Sean Penn in der Hauptrolle. Großartige Kinobilder begleiteten darin den abgehalfterten Punk-Rock-Star Cheyenne auf seiner Suche nach – ja nach was eigentlich?

In La Grande Bellezza ist es der alternde Lebemann Jeb Gambardella, ehemaliger Buchautor, one book wonder und derzeit desillusionierter Journalist, der nach einem ähnlichen Ding zu suchen scheint wie schon Cheyenne. Doch anders als dieser kann Jeb sein Ding tatsächlich benennen: "Ich suchte nach der Schönheit ..."

Und von Schönheit strotzt La Grande Bellezza geradezu, vordergründig durch außergewöhnliche Kamerafahrten durch die Ewige Stadt – so manche Filmkritik spricht hier von "betörenden Bildern" dieser einmaligen Metropole. Als Zuschauer folgt man Jeb an die schönsten Orte Roms, flaniert mit ihm am Tiber entlang, bestaunt erlesene antike Kunstschätze oder feiert Partys in seiner Wohnung direkt neben dem Kolosseum. Er selbst ist der best dressed man und sicher auch der bestrasierte. Auch die anderen Menschen sind schön, besonders die Frauen, oder sie hoffen es wenigstens. Auf jeden Fall geben sie ihr Bestes und zahlen brav ihren Obulus während einer abstrusen Botox-Party.

Der Film zelebriert die Schönheit. Doch zuerst subtil, dann immer deutlicher schleicht sich auch eine gruselige Leere zwischen die Kinosessel. "Ich suchte nach der Schönheit ..." beginnt obiges Zitat. Es endet mit: "... und habe sie nicht gefunden." Jeb hat überhaupt nichts gefunden. König der Mondänen hatte er werden wollen, und das ist ihm auch gelungen. Doch nun wundert er sich über die Leere in seinem Leben. Mit seinen fünfundsechzig Jahren spürt auch er, dass nur noch der Tod auf ihn wartet. Flaubert habe ein Buch schreiben wollen über das Nichts, wird mehr als einmal erwähnt. "... und du wärest die perfekte Muse für ihn gewesen ...", attestiert Jeb einer seiner mondänen Untertaninnen, "... du hast ein kaputtes Leben – wie wir alle."

La Grande Bellezza ist kein Film über die Dekadenz der italienischen High Society. La Grande Bellezza ist ein Film über das moderne Leben an sich. Man muss nicht besonders reich sein, um sich darin wiederzufinden. In einem Interview (WDR, WestArt) sagte Paolo Sorrentino: "In Italien gibt es diese Endzeitstimmung. Ich nehme Italien wahr als eine gelähmte, unbewegliche Gesellschaft. All die schwierigen Zeiten, die Nachkriegszeit, aber auch in der jüngeren Vergangenheit, haben nicht zu einer Veränderung geführt oder zu einer großen gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung, nein, nur zu einer Desorientierung und Lähmung der gesamten Gesellschaft."
Und das gilt wohl nicht nur für Italien.

Das nutz- und orientierungslose Streben nach leerer Schönheit steckt in uns allen. Warum richten wir unsere Wohnungen so chic ein? Warum gibt es so viele gutverdienende Modelabel? Warum werden massenhaft überteuerte Apple-Produkte gekauft, wenn nicht zum großen Teil wegen ihrer Schönheit? (Ich bin überzeugt, La Grande Bellezza ist der einzige Film, in dem demonstrativ Apples vorkommen, ohne dass Apple für dieses product-placement zahlen muss, da es sich um ein gewolltes Stilmittel handelt.) Warum entdeckt man bei kaum einem Erwachsenen eine sichtbare Zahnlücke? Warum geben sich Abi-Bälle immer exklusiver? Und warum eigentlich ist es anerkanntermaßen ein Kompliment, einer Frau zu sagen, sie sei schön? Warum ist es nicht vielmehr eine Beleidigung, sie gezielt auf eines der Dinge aufmerksam zu machen, für die sie (fast) nichts kann?

Menschen lieben Schönheit. (Das schrieb ich schon in meiner Besprechung von Surrogates - Mein zweites Ich, einem Film, den man als direkte gedankliche Fortführung von La Grande Bellezza ansehen kann.) Nach meiner Beobachtung steht die Schönheit der Dinge und Menschen aber so weit im Vordergrund unseres Lebens, dass es den Eindruck macht, wir könnten nicht ohne sie sein. Ohne jeden Lebensinhalt dagegen schaffen wir locker die fünfundsechzig Jahre wie ein Jeb Gambardella.

Heldin des Films ist für mich übrigens Schwester Maria, eine schrullige Heilige, die man sich älter, hässlicher und gebrechlicher kaum vorstellen kann. Schwester Maria ist der einzige Film-Charakter, der sich dem Schönheits-Ding entschieden entzogen hat. Sie kümmert sich um Kranke in fernen Ländern, hat "die Armut geheiratet", schläft nur auf dem nackten Boden, frühstückt nur gewisse Wurzeln, denn "Wurzeln sind wichtig für's Leben." Sie allein scheint begriffen zu haben, dass das Streben nach Schönheit als direkte Folge die Leere, das Nichts nach sich zieht. Doch im Film erscheint sie so skuril, ihr Leben als so entrückt und absurd, dass ihre Person fast schon unmenschlich wirkt.

Die Schönheit und das Nichts sind für mich die tragenden Pfeiler dieses Films. Beide fügt La Grande Bellezza gekonnt als Synonyme zusammen. Das gelingt ihm durch seinen ganz besonderen Charme. Er ist lang aber kurzweilig, betörend, lustig, erschreckend, abstrus, melancholisch, überraschend, traurig, verstörend und ein bisschen depressiv – und das in dieser und jeder anderen Reihenfolge. Er hat keinen roten Faden (braucht ihn auch nicht) und scheint lediglich Fragen zu stellen, ohne Antworten zu geben. Ich liebe diesen Film und halte ihn für einmalig.

Einmalig auch in dieser Hinsicht: In dem Kino meiner Wahl blieben ausnahmslos alle Zuschauer (und das waren nicht wenige) bis zum allerletzten Bild des Abspannes in ihren Sesseln sitzen.


Originaltitel: La Grande Bellezza
Regie: Paolo Sorrentino
Drehbuch: Paolo Sorrentino, Umberto Contarello
Erscheinungsjahr: 2013
Länge: 142 Minuten
Altersfreigabe: FSK 12
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